S3 Leitlinie Nierenzellkarzinom 2015

Kapitel 6: Operative Verfahren, Operationstechniken

Autor: Redaktion|Veröffentlicht am 21. September 2016|Aktualisiert am 21. März 2024

Kapitel 6.1: Offene oder laparoskopische/robotergestützte Operation bei Teil-/Totalnephrektomie

  Evidenzbasierte Empfehlung
Empfehlungsgrad ALevel of Evidence 4Zur Kuration soll beim lokalisierten Nierenzellkarzinom eine chirurgische Resektion erfolgen. Literatur: 149 Starker Konsens
  Evidenzbasiertes Statement
Level of Evidence 3Zwischen der offenen und der laparoskopischen Nephrektomie wurde kein Unterschied im Gesamt- und tumorspezifischen Überleben gezeigt. Die Datenlage für die retroperitoneoskopische und die roboterassistierte Nephrektomie ist diesbezüglich nicht ausreichend. Literatur: 150, 151 Konsens
  Evidenzbasiertes Statement
Level of Evidence 3Bei laparoskopischer Nephrektomie sind der intraoperative Blutverlust geringer und der stationäre Aufenthalt kürzer als bei offener Operation. Literatur: 150, 152, 153 Konsens
  Evidenzbasiertes Statement
Level of Evidence 4Die offene Nierenteilresektion stellt den Standard bei der organerhaltenden Operation dar. Literatur: 154-162 Konsens
  Evidenzbasierte Empfehlung
Empfehlungsgrad 0Level of Evidence 4Bei ausreichender Erfahrung kann dieser Eingriff auch minimalinvasiv erfolgen. Literatur: 154-162 Konsens

6.1.1 Hintergrund

Die radikale Nephrektomie wurde seit ihrer Erstbeschreibung durch Robson 1969 als Standardeingriff zur kurativen Therapie des lokal begrenzten Nierenzellkarzinoms angesehen 163. Während sich das operative Vorgehen in den letzten Jahren deutlich verändert hat (siehe Kapitel 6.6 Organerhaltende Operation), haben sich auch die Operationstechniken weiterentwickelt. Nach Einführung der laparoskopischen Nephrektomie wird diese mittlerweile in der EAU-Leitlinie, wenn technisch möglich, empfohlen, bzw. die radikale Nephrektomie kann nicht länger als Standard-Therapie für geringe Tumorgrade beim Nierenzellkarzinom (T1) empfohlen werden 149. Zur Frage der operativen Strategie bei T1-Nierenzellkarzinomen liegt der Leitliniengruppe eine systematische Übersichtsarbeit vor, die im Kontext der 2013 erschienenen EAU-Leitlinie erstellt wurde 164. Die Übersichtsarbeit zeigt, dass zu diesem Themenkomplex nur wenige RCTs existieren. Die Empfehlungen dieser Leitlinie basieren vor allem auf prospektiven Kohorten-Studien und retrospektiven Datenerhebungen. Dies muss bei der Beurteilung der weiteren Ausführungen berücksichtigt werden. Unter „minimal-invasiv“ wird in diesem Kontext die laparoskopische, robotische und Mini-Lobotomie verstanden.

6.1.2 Bei Indikation einer totalen Nephrektomie

Bei der vergleichenden Darstellung offene vs. laparoskopische Tumornephrektomie können 4 Arbeiten berücksichtigt werden. Eine RCT (Peng et al. 2006), eine prospektive Kohortenstudie (Hemal et al. 2007), ein Review von retrospektiven Kohortenstudien (Gratzke et al. 2009) und eine Meta-Analyse von retrospektiven Beobachtungsstudien (Tait et al. 2011) 150-153.

Das OS (overall survival) wurde in der RCT von Peng et al. nicht berücksichtigt. Das OS nach 5 Jahren lag bei Hemal et al. nach laparoskopischer Nephrektomie bei 87,8 % (n=41), nach offener Nephrektomie bei 88,7 % (n=71). Das tumorspezifische Überleben wurde mit 95,12 % (Laparoskopie) bzw. mit 94,36 % (offene Operation) beschrieben. Auch Tait et al. konnten in den 5-Jahres-Überlebensraten keine signifikanten Unterschiede feststellen (Odds Ratio Laparoskopie 0,76 [95 % CI 0,36-1,56] und offene Operation 0,73 [95 % CI 0,32-1,69]).

Der stationäre Aufenthalt wurde in 3 von 4 Arbeiten untersucht und war in 3/3 Arbeiten kürzer nach laparoskopischer Nephrektomie. Mit einem Unterschied von fast 5 Tagen war dieser Unterschied im RCT von Peng et al. am größten (MD -4,5 Tage [95 % CI -5,20-3,80]). 

Der Blutverlust war in den Arbeiten von Hemal et al. (MD -292 ml [95 % CI -342-242], Gratzke et al. (MD -193 ml [95 % CI -320--67]) und Peng et al. (MD -82 ml [95 % CI -93--72]) geringer nach dem laparoskopischen Eingriff. Die Bluttransfusionsrate wurde jedoch uneinheitlich dargestellt (Hemal et al. 15 % [Lap] vs. 32 % [offen]; Gratzke et al. 6 % [Lap] vs. 0 % [offen]).

Die postoperativen Komplikationsraten waren in den drei Studien (Peng et al. 2006, Gratzke et al. 2009, Hemal et al. 2007), die dies untersuchten, gering und wiesen ein breites Konfidenzintervall auf 150, 152, 153. Die Infektionsrate war nach laparoskopischem Vorgehen geringer (Peng et al. risk ratio 0,32 [95 % CI 0,01-7,55], Hemal et al. 0,35 [95 % CI (0,04-2,86), Gratzke et al. 0,34 [95 % CI 0,01-8,14]) wie auch die Rate an Pneumonien (Gratzke et al. risk ratio 0,34 [95 % CI 0,01-8,14]).

Bei der Beurteilung des laparoskopischen Zugangsweges (retroperitoneal vs. transperitoneal) wurden zwei RCTs (Desai et al. 2005, Nambirajan et al. 2004) ein quasi-RCT (Nadler et al. 2006) und eine Meta-Analyse (Fan et al. 2013) berücksichtigt 165-168. Während die Lebensqualität bei beiden Zugängen vergleichbar war, zeigte sich bei den posterior gelegenen Tumoren in der Meta-Analyse, dass der retroperitoneale Zugang eine kürzere Operationszeit (WMD 48,85 min. [95 % CI 29,33-68,37], p < 0,001) und einen kürzeren stationären Aufenthalt (WMD 1,01 Tage [95 % CI 0,39-1,63], p=0,001) zur Folge hatte 168.

Die roboterassistierten Operationsverfahren werden seit 2006 vermehrt in der Urologie durchgeführt. Es gibt allerdings nur eine prospektive Kohortenstudie von Hemal und Kumar 2009 mit einer vergleichenden Darstellung roboterassistierte Nephrektomie vs. laparoskopische Nephrektomie 169. Jeweils 15 Patienten wurden pro Arm eingeschlossen. Im perioperativen Outcome (Blutverlust, stationärer Aufenthalt, lokale Tumorkontrolle (allerdings kurzes Follow-up von 1 Jahr) wurden keine Unterschiede festgestellt. 

6.1.3 Bei Indikation einer Teilnephrektomie

Bei der vergleichenden Darstellung der offenen und der laparoskopischen Nierenteilresektion werden 5 Arbeiten berücksichtigt 154-158. Wenn Nierengewebe erhalten werden kann, sollte dies im Sinne einer organerhaltenden Operation erfolgen 164. Dies wird in Kapitel 6.6 weiter dargestellt. Bei dem Vergleich der organerhaltenden Operationstechniken, offen vs. laparoskopisch, wurden die Überlebensraten in den 5 berücksichtigten Arbeiten sehr unterschiedlich dokumentiert und sollten somit kritisch beurteilt werden 154-158. Bei Lane und Gill wurde das OS nach 7 Jahren mit 83,1 % (lap.) und 83,5 % (offen) und bei Marszalek et al. nach 5 Jahren (nur pT1-Tumore) mit 96 % (lap.) vs. 85 % (offen, p=0,1) festgehalten 155, 157.

Während der mittlere Blutverlust bei Gill et al. nach laparoskopischer Operation geringer war (MD -76 ml), zeigte dieselbe Arbeit eine höhere Transfusionsrate nach laparoskopischer Nierenteilresektion (5,8 % [45/771] vs. 3,4 % [35/1029]) 154. Dies konnte in den Arbeiten von Gong et al. und Marszalek et al. nicht bestätigt werden 156,157.

Die postoperativen Komplikationsraten wurden nach unterschiedlichen Beurteilungskriterien vorgestellt und sind nicht direkt vergleichbar. Gill et al. beschreiben eine höhere Komplikationsrate nach laparoskopischer Operation (24,9 % vs. 19,2 %) 154. Vergleichbare Angaben werden von Gong et al. gemacht (39 % vs. 22 %, p=0,026) 156. Erfolgt die Einteilung der Komplikationen nach den National Cancer Institute Common Toxicity Criteria, konnten Gill et al. keinen Unterschied feststellen (14/100 vs. 19/100, p=0,8). Diese Angaben werden von Marszalek et al. nach der Simmonsand-Einteilung bestätigt 157.

Die postoperative Nierenfunktion wird in drei Studien beschrieben. In der Arbeit von Marszalek et al. war der Abfall der GFR 24 Stunden nach laparoskopischer Operation höher im Vergleich zur offenen Operation (8,8 % vs. 0,8 %, p < 0,001) 157. Allerdings konnte nach durchschnittlich 3,6 Jahren ein vergleichbarer Rückgang der GFR im Vergleich zum Ausgangsbefund in beiden Gruppen festgestellt werden (10,9 % vs. 10,6 %, p=0,8). Diese Angaben werden von Gill et al. (97,9 % lap. vs. 99,6 % offen) und Gong et al. bestätigt 154, 156.

Die roboterassistierte Nierenteilresektion wird in zahlreichen Studien beschrieben. Die Datenqualität ist jedoch gering. RCTs liegen nicht vor, lediglich 3 Meta-Analysen im Vergleich zur Laparoskopie können berücksichtigt werden, wobei die berücksichtigten Arbeiten sich vor allem auf nicht-randomisierte Kohortenstudien beziehen (Aboumarzouk et al. 2012: sieben Arbeiten nicht-randomisierte Beobachtungsstudien; Froghi et al. 2013: vier retrospektive, eine prospektive und eine retrospektive Evaluation mit prospektiver Datensammlung; Bi et al. 2013: zwei prospektive Datensammlungen, drei retrospektive Arbeiten) 159-161. 

Aboumarzouk et al. konnten keine signifikanten perioperativen Unterschiede bei der Operationszeit (MD 0,52 [95 % CI, -1,56-2,60], p=0,62), dem Blutverlust (MD 24,04 [95 % CI 56,86-8,77], p=0,15), der Konversionsrate (OR 1,12 [95 % CI 0,38-3,32], p=0,84) und dem stationären Aufenthalt feststellen (MD 0,11 [95 % CI -0,13-0,35], p=0,37). Nur bei der warmen Ischämiezeit wurden günstigere Ergebnisse nach roboterassistierter Operation im Vergleich zur laparoskopischen Operation nachgewiesen (MD -2,74 [95 % CI, -4,35--1,14], p=0,0008) 159. Froghi et al. berücksichtigten nur Arbeiten mit einer Tumorgröße < 4 cm 160. Während die perioperativen Ergebnisse von Aboumarzouk et al. bestätigt wurden, konnte in dieser Meta-Analyse für die warme Ischämiezeit lediglich ein Trend zugunsten der robotischen Operation, jedoch kein signifikanter Unterschied festgestellt werden (95 % CI -15,22-3,70, p=0,23). In der Analyse von Bi et al. wurden lediglich die Literaturdaten von robotischen Nierenteilresektionen mit einer Tumorgröße > 4 cm zusammengestellt 161. Mit einer geringen Ischämierate (MD 28 min. [95 % CI 21-34]) und einer akzeptablen Konversionsrate (MD 7,0 [95 % CI 2,6-17,7]) stellt die robotische Nierenteilresektion auch bei größeren Tumoren eine mögliche Therapieoption dar.

In den EAU-Leitlinien 2013 zur robotischen und laparoskopischen Operation wird aufgrund der schlechten Datenqualität die robotische Operation der laparoskopischen gleichgesetzt und bei ausreichender Erfahrung zur Organerhaltung empfohlen 162.