Kapitel 3: Epidemiologie
3.1 Epidemiologie
Hintergrund
Im Krebsregister des Robert Koch-Instituts (RKI) werden unter dem ICD-10-Code C64 alle bösartigen Erkrankungen der Niere mit Ausnahme der urothelialen Karzinome des Nierenbeckens erfasst.
Über 90 % dieser Karzinome sind Nierenzellkarzinome [2].
Der Nierenzellkrebs ist eine Erkrankung älterer Menschen, das mittlere Erkrankungsalter beträgt 68 Jahre für Männer und 71 Jahre für Frauen [2].
Das Nierenzellkarzinom steht mit 3,5 % aller Krebserkrankungen beim Mann an 8. Stelle aller neu diagnostizierten Krebserkrankungen in Deutschland 2010.
Bei Frauen ist das Nierenzellkarzinom seltener. Es macht 2,5 % aller Krebsneuerkrankungen aus und liegt damit an 10. Stelle der Krebsneuerkrankungen [2].
Inzidenz
Während die altersstandardisierte Erkrankungsrate bei den Frauen etwa gleich geblieben ist und bei den Männern abgenommen hat, stieg die absolute Zahl an Neuerkrankungen seit Ende der 90er Jahre.
Im Jahr 2010 erkrankten 14.520 Menschen (8.950 Männer und 5.570 Frauen) in Deutschland an einem bösartigen Nierentumor.
Für 2014 prognostizierte das RKI 15.500 Neuerkrankungen (9.500 Männer und 6.000 Frauen) [2].
Prävalenz
Die 5-Jahres-Prävalenz wird vom RKI für 2010 mit 33.600 erkrankten Männern und 21.100 erkrankten Frauen angegeben. Für das Jahr 2012 prognostizierte das RKI 31.700 Männer und 20.000 Frauen mit einem Nierenzellkarzinom in den letzten 5 Jahren in Deutschland [2]. In einer Auswertung des RKI, die allerdings auch Nierenbeckenkarzinome und Karzinome des Harnleiters umfasst, wird bei Männern eine Verdoppelung der 5-Jahres-Prävalenz im Zeitraum von 1990 bis 2004 beschrieben, bei Frauen ein Anstieg um ca. 50%. Auch die 10-Jahres-Prävalenz stieg im untersuchten Zeitraum in gleicher Weise an mit 56.200 erkrankten Männern und 36.600 erkrankten Frauen [3].
T-Kategorien bei Erstdiagnose
Nach den Daten des RKI aus den Jahren 2009/2010 werden etwa drei Viertel der Nierentumore im Stadium TI und T2 diagnostiziert. T4-Tumore finden sich bei Erstdiagnose in 2 % der Fälle [2].
3.2 Modifizierbare Risikofaktoren von Nierenzelltumoren
Evidenzbasiertes Statement | |
2++ | Rauchen, Übergewicht und erhöhter Blutdruck erhöhen das Risiko, an einem Nierenzellkarzinom zu erkranken. Rauchen, Übergewicht und erhöhter Blutdruck erhöhen das Risiko, an einem Nierenzellkarzinom zu erkranken. Literatur: [4-1 3] Starker Konsens |
2+ | Die adäquate Einstellung des Blutdrucks kann das Erkrankungsrisiko für Nierenzellkarzinome senken. Literatur: [14-21] Konsens |
3.2.1. Rauchen
Rauchen ist ein gesicherter Risikofaktor für das Nierenzellkarzinom. Entsprechend einer Meta-Analyse [4], die 19 Fall-Kontroll- (8.032 Fälle und 13.800 Kontrollen) und fünf Kohortenstudien (n=1.457.754 einschließlich 1.326 Fälle) einschloss, haben Raucher oder Ex-Raucher verglichen mit Individuen, die nie geraucht haben, ein erhöhtes Risiko, ein Nierenzellkarzinom zu entwickeln. Die geschätzte Risikoerhöhung wird bei Männern mit 54 % und bei Frauen mit 22 % angegeben, allerdings ist eine klare Dosis- Wirkungsbeziehung mit höheren Risiken bei starken Rauchern nachweisbar. Die Risikoerhöhung durch Passivrauchen ist noch nicht ausreichend gesichert [5-7].
Die bisherige Evidenz für ein reduziertes Risiko für männliche Ex-Raucher, die mindestens 10 Jahre nicht mehr rauchen, gegenüber Rauchern ist auf wenige Studien begrenzt [4, 5, 8].
3.2.2. Übergewicht/Adipositas
Übergewicht im Sinne eines erhöhten BMI ist mit einem erhöhten Risiko für Nierenzelltumoren verbunden. Entsprechend einer Meta-Analyse [9] prospektiver Kohortenstudien (n=5.473.638; 6.073 Fälle bei Männern; 4.614 Fälle bei Frauen) beträgt die Risikoerhöhung pro Erhöhung des BMI um 5 kg/m2 ca. 24% bei Männern und 34% bei Frauen. Es gibt unsichere Hinweise, dass unabhängig vom BMI die abdominelle Adipositas ein Risikofaktor sein könnte [10-13].
3.2.3. Bluthochdruck und Einnahme antihypertensiver Medikamente
Bluthochdruck ist ein Risikofaktor für Nierenzellkarzinome. Allerdings lässt sich der Einfluss des Bluthochdrucks nur schwer von dem der Einnahme von blutdrucksenkenden Medikamenten abgrenzen. Mehrere prospektive Kohortenstudien konnten einen Zusammenhang zwischen einem erhöhten gemessenen Blutdruck und einem erhöhten Nierentumorrisiko nachweisen [14-19] und teilweise beobachten, dass in der Tat der erhöhte Blutdruck und nicht die Einnahme von Antihypertensiva oder Diuretika mit einer Erhöhung des Nierentumorrisikos einhergeht [16, 17, 20, 21]. Eine adäquate Blutdruckkontrolle kann mit einer Erniedrigung des Risikos für Nierenzellkarzinome einhergehen [16, 1 7].
3.2.4. Ernährung
Die Zusammenhänge zwischen Ernährungsfaktoren und dem Risiko, an einem Nierenzelltumor zu erkranken, sind widersprüchlich. Dies gilt auch für den Obst- und Gemüsekonsum als möglichen protektiven Faktor [22-24]. Die derzeit zur Verfügung stehende Evidenz lässt keine Rückschlüsse auf einen möglichen Einfluss spezifischer Nahrungsmittel oder Nährstoffe auf die Entwicklung eines Nierenzelltumors zu.
3.3 Nicht modifizierbare Risikofaktoren
3.3.1 Terminale Niereninsuffizienz/erworbene zystische Nierendegeneration
Evidenzbasiertes Statement | |
2- | Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz haben ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Nierenzellkarzinomen. Literatur: [2-5] Starker Konsens |
Hintergrund:
In einer Registerbasierten Studie lag die beobachtete Inzidenz für Nierenzellkarzinome bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz (n=4.161) um das Vierfache höher als die basierend auf den Daten der Normalpopulation erwartete Inzidenz [25]. Allerdings liegen zu dieser Frage keine Kohortenstudien vor.
3.3.2 Hereditäre Tumorsyndrome mit erhöhtem Risiko für das Auftreten von Nierenzellkarzinomen
Konsensbasierte Empfehlung | |
EK | Patienten, bei denen der klinische Verdacht auf ein hereditäres Nierenzellkarzinom besteht, sollen auf die Möglichkeit einer genetischen Beratung hingewiesen werden. Starker Konsens |
Hintergrund:
Eine familiäre Häufung von Nierenzellkarzinomen ist wiederholt beschrieben worden. Der Anteil familiärer Fälle wird mit etwa 4 % angegeben [26]. Das Risiko erst- oder zweitgradiger Verwandter eines Patienten mit einem Nierenzellkarzinom ebenfalls an einem Nierenzellkarzinom zu erkranken, ist ca. um den Faktor 2-4 erhöht [27-29].
In 1 % bis maximal 4 % aller Nierenkarzinome lassen sich ursächliche Keimbahnmutationen als Nachweis eines hereditären Tumorleidens nachweisen [30]. In der genetischen Datenbank der Johns-Hopkins-Universität (Online Mendelian Inheritance in Man, OMIM) finden sich bislang vier molekulargenetisch definierte Syndrome, die mit einer Risikoerhöhung für die Entstehung von Nierenzellkarzinomen einhergehen:
- von Hippel-Lindau-Syndrom (VHL, OMIM #193300)
- Birt-Hogg-Dubé-Syndrom (BHD, OMIM #135150)
- Hereditäre Leiomyomatose und Nierenzellkrebs (HLRCC, OMIM #150800)
- Hereditäres Papilläres Nierenzellkarzinom (HPRCC, OMIM #605074) [31]
von Hippel-Lindau-Syndrom
Die mit Abstand häufigste Form des hereditären Nierenzellkarzinoms ist das dominant erbliche von Hippel-Lindau-Syndrom, hervorgerufen durch Mutationen im VHL-Gen.
Die Prävalenz beträgt etwa 1 : 40.000. Genträger haben bis zum Alter von 60 Jahren ein durchschnittliches Risiko von > 70 % an einem Nierenzellkarzinom zu erkranken.
Histologisch handelt es sich dabei um klarzeilige Karzinome.
In Abhängigkeit von der zugrunde liegenden Mutation im VHL-Gen können Subtypen (VHL Typ 1, Typ 2a, Typ 2b und Typ 2c) mit unterschiedlichen Phänotypen und insbesondere auch deutlich unterschiedlichen Risiken zur Entwicklung eines Nierenzellkarzinoms differenziert werden [32]. Klinisch charakterisiert wird das VHL-Syndrom durch das zusätzliche Auftreten von Hämangioblastomen des Zentralnervensystems, Angiomen der Retina und Phäochromozytomen, wobei die Penetranz aller Manifestationen nicht vollständig ist, was zu einer teilweise (auch intrafamiliär) ausgeprägten Heterogenität des Krankheitsbildes führt.
Birt-Hogg-Dubé-Syndrom
Das Birt-Hogg-Dubé-Syndrom ist eine seltene Genodermatose, für die keine genauen Prävalenzdaten angegeben werden können. Phänotypisch ist das Syndrom v. a. durch eine Vielzahl von Haut- und Haar-Veränderungen gekennzeichnet sowie das Auftreten von Lungenzysten und Spontanpneumothoraces. Etwa 25 % der Genträger entwickeln Nierentumoren unterschiedlicher histologischer Typen, am häufigsten treten chromophobe und onkozytische Hybridformen auf [33]. Ursächlich liegen dem dominant erblichen Syndrom Mutationen im Folliculin-Gen zugrunde [34].
Hereditäre Leiomyomatose und Nierenzellkrebs
Die hereditäre Leiomyomatose und Nierenzellkrebs ist eine dominant erbliche Präkanzeröse, hervorgerufen durch Mutationen im Fumarat-Hydratase-Gen, das für ein Enzym im mitochondrialen Krebszyklus kodiert.
Inaktivierende Mutationen des Gens führen zur Beeinträchtigung des Energie Stoffwechsels der Zelle. Neben meist gutartigen Leiomyomen von Haut und Uterus treten Nierenzellkarzinome vom papillären Typ 2 auf [35].
Hereditäres papilläres Nierenzellkarzinom (HPRCC)
Das hereditäre papilläre Nierenzellkarzinom ist gekennzeichnet durch das Auftreten multipler bilateraler papillärer Nierentumoren. Ursächlich liegen der sehr seltenen Erkrankung Keimbahnmutationen im MET-Proto-Onkogen zugrunde. Histologisch treten zumeist papilläre Karzinome vom Typ 1 auf, dessen Prognose günstiger ist als beim für das HPRCC typischen Typ 2 [36].