Die DGU-Kolumne 7/2019

Die neue DGU-Kolumne

Schwarz-weiß trifft es selten, in der Regel braucht es eine differenzierte Meinung, gerne auch eine Prise Humor und manchmal muss der Daumen in die Wunde – auch in der Urologie. Deshalb spitzt Dr. Wolfgang Bühmann in der „DGU-Uro-Kolumne“ neuerdings den Stift und nimmt in dieser neuen Rubrik des Urologenportals regelmäßig aktuelle Themen ins Visier.

Kontakt zum Autor

Dr. med. Wolfgang Bühmann
Facharzt für Urologie - Andrologie
Med.Tumortherapie - Qualitätsmanagement

Terpstig 55, 25980 Sylt OT Morsum
Tel.: 04651-8364818, Fax 04651-8364836
 E-Mail: post(at)urologie-sylt.de

Autor: |Veröffentlicht am 22. August 2019|Aktualisiert am 24. Mai 2023

Schnittrand und Seele – (k)ein Widerspruch?!

20.07.2019. TUI – nein, nicht ein internationales Tourismusportal, sondern Tumor, Urinverlust, Impotenz – diese drei Flaggen, die uns unsere Patienten aufgezogen haben, wehen in luftiger Höhe am Mast der Urologie. Gleichsam ambitioniert wie kreativ haben wir in den letzten Jahrzehnten technisch-handwerklich die Bewältigung dieser Erkrankungen perfektioniert und dabei die Flagge, die am höchsten hängt, übersehen: die Seele. Weht sie zu weit oben und mögen wir uns nicht den Nacken verrenken?

Seele macht Tumor, Seele macht Urinverlust, Seele macht Impotenz und – Tumor belastet Seele, Urinverlust belastet Seele, Impotenz belastet Seele.

Orchiektomie, Prostatektomie, Cystektomie, Nephrektomie – in der Seele bleibt der Tumor. Periurethrale Bänder, Muskarinantagonisten, artefizieller Sphinkter, blümchenbedruckte Inko-Slips, Katheter – in der Seele bleibt der Urinverlust. PDE-5-Hemmer, MUSE, SKAT, Schwellkörperimplantat –  in der Seele bleibt das Gefühl sexueller Minderwertigkeit.

Operationen bei urologischen Tumoren, Hilfsmittel bei Urinverlust, Pillen gegen ED sind die Pflaster auf den Wunden. Erst die präzise Analyse der psychisch vielfältigen Ursachen ermöglicht während und nach der somatischen Behandlung die Wiederherstellung der krankheitsbedingt gestörten Integrität von Seele und Körper.

Natürlich dürfen und sollen sich Patienten und Ärzte über negative Schnittränder bei Tumoroperationen und über suffiziente Beckenbodenstabilisierungstechniken bei Urinverlust freuen – als Baustein zur Gesundung wie auch Ausdruck hoher ärztlich-mechanischer Kompetenz.

Additiv benötigt jeder Patient mit TUI seelische Hilfe, sonst kann er nicht gesunden – trotz negativer Schnittränder, unauffälligen Urethradruckprofils oder artefiziell erzeugter bzw. verstärkter Rigidität und Tumeszenz. 

Was tun wir? Trotz eklatanten Mangels an kompetenten Therapeuten – gleich, ob ärztlich mit Pillenhoheit oder nichtärztlich - knurren und kläffen wir kleinkariert gegen die Initiative der Psychotherapeuten, sich als eigener Berufsstand zu etablieren: Futterneid ohne Futter!

Patienten warten sechs bis acht Monate auf psychotherapeutische Begleitung. Bei allein etwa 100.000 neuen uroonkologischen Patienten pro Jahr zuzüglich der „chronisch Bedürftigen“, der PatientInnen mit Urinverlust und Sexualstörungen kommt allein unsere Fachgruppe auf eine hoch sechsstellige Patientenzahl, die seelische Hilfe benötigt. Zwei Wege sind sinnvoll, das anzugehen: erste Präferenz hat die Motivation der Urologen, sich selbst berufsbegleitend angemessen in Psychosomatik und Sexualmedizin weiterzubilden, um ihre Patienten parallel zur organmanufaktischen Behandlung professionell psychotherapieren zu können.

Da das weder zeitlich noch quantitativ ausreichen wird, den Bedarf zu decken, sollte additiv die Initiative, die Zahl an Psychotherapeuten massiv zu erhöhen, breite Unterstützung erfahren, da auch Patienten anderer Fachgruppen in vielfacher Zahl auf Hilfe warten.

Gretchenfrage: wie geht das ?

Zunächst können sich die Urologen, die das verstanden haben und richtig finden, beim DGU-AK Psychosomatik und Sexualmedizin zur Weiterbildung anmelden: hier

Und was noch? Nun, wir laden unseren flotten, windschnittigen Bankkaufmann Jens „Judy“ Spahn („Judy“ misst ihm fast zärtlich die Attribute „Jung“ und „dynamisch“ zu) einmal ein und flüstern ihm zu, dass wir kalendertäglich eine Milliarde Euronen für die Gesundheitsversorgung zur Verfügung haben – ziemlich genausoviel wie der gesamte Bundeshaushalt, jawohl, und dass wir damit durchaus massive Defizite in der psychologischen Versorgung unserer seelisch bedürftigen Patienten ausgleichen könnten, anstatt das Gesundheitssystem finanztechnisch glattzusparen, um es gewinnbringend an der Börse Hedgefonds zum Frass vorwerfen und sich selbst unauffällig für politisch „höhere Weihen“ empfehlen zu können.                                                                                                                                

Vorschlag: kümmern wir uns neben technisch perfekter somatischer Reparatur auch um die Gesundung der verwundeten Seelen unserer Anvertrauten.

Kohle ist reichlich vorhanden – also müssen wir nur die richtigen Rädchen drehen. Machen Sie mit?!

Herzlich

Ihr
Wolfgang Bühmann