Die DGU Kolumne 04/2020

Autor: |Veröffentlicht am 20. Mai 2020|Aktualisiert am 21. März 2024

„Systemrelevant – die Ärztin, der Arzt, das Personal!“

20.04.2020. Teil 1: Unsere Werte

Empfinden Sie auch einen so kalten Schauer auf dem Rücken wie ich, wenn Sie das lesen? Nein? Schade. Ja? Prima.

Sprache ist viel mehr als pure Lautformung – Sprache ist Ausdruck der Haltung jedes Individuums und einer Gesellschaft.

Es könnte ein Versprecher sein – nein, so oft, wie diese seelenlosen Phrasen momentan gedroschen werden, scheidet das aus. Am häufigsten werden sie von Politikern missbräuchlich zitiert, gefolgt von allen Anderen, die sich zumeist wenig kompetent wichtig machen wollen.

Ärztinnen sind weiblich, Ärzte männlich, das Personal = Schwestern und Pfleger sächlich, mithin nicht menschlich. Vor allem „das Personal“ ist nicht „systemrelevant“, sondern die “Mitarbeiter“ sind „lebens-wichtig“ – „es“ trägt als am schlechtesten bezahltes Glied einer Kette derzeit im Wesentlichen unser Land; neben den vielen anderen „Niedriglöhnern“, die sich um die Schwächsten der Gesellschaft kümmern, die Alten und Kranken, die zuhause oder in Heimen vereinsamen und sich selbst nicht versorgen können – weder mit Nahrung noch mit Kommunikation.

Die Bezeichnung „Personal“ sollte bereits seit Jahrzehnten in den Staubsaugerbeuteln von Neuschwanstein, Windsor oder Versailles verschwunden sein und als Unwort in einer humanen Gesellschaft geächtet werden. Bei „Personalplanung“ spielen wir mit Menschen als Schachfiguren, bei „Optimierung von Personalressourcen“ werfen wir Menschen in soziale Grundsicherung respektive andere Notlagen und bei „derzeit besonderen Personalanforderungen“ muten wir Menschen ein hohes gesundheitliches Risiko bei der Arbeit unter Entzug der Familie zu. Eine Krankenschwester, sehr geehrte MinisterInnen, ist kein Einmal-Wegwerf-Artikel in steriler Aufreißpackung!

Balkon-Applaus ist zwar nett. Keinem, dem diese verbalen Missachtungen  geschmeidig über die Lippen gehen, glaube ich jedoch nur eine Silbe seiner Beteuerungen, nach der Krise die Ausbeutung der MitarbeiterInnen (viel schöneres Wort, oder?) wirklich nachhaltig zu ändern. Nota bene: wir alle sind auch keine „Leute“, sondern „Menschen“.

Wenn die 900 Milliarden im „Rettungsschirm“, der ohne Frage jetzt richtig ist, wobei es sich jedoch - nur der Ordnung halber -  nicht um ein Geschenk des „Staates“, sondern um unser aller Geld handelt, das wieder einmal unsere Kinder zurückzahlen müssen, alle sind, kenne ich schon die Erklärungen, warum genau jetzt kein Geld da sein kann, die Pflege in Zahl,Talern und Respekt angemessen zu entschädigen.

Für diesen Fall kann ich nur hoffen, dass alle in diesen Berufen ihre Leistung  verweigern, um spürbar daran zu erinnern, und dann die Solidarität all derer erfahren, die jetzt in der Not aus Angst applaudieren.

Teil 2: Unsere Pflichten

Humanitas, caritas, veritas – ja, haben Sie natürlich schon gehört. Werte, auf die wir uns in unserem Beruf mit Freude verpflichtet haben, sind die Brücke: unsere Werte sind unsere Pflichten.

Mit diesen Werten treten wir neben unsere Patienten, nehmen sie ernst und an die Hand, begleiten, stützen und umsorgen sie – wir helfen ihnen mit Verstand, Offenheit und Zuwendung.

Humanitas: Dazu gehört unsere Besonnenheit in besonderen Phasen wie der aktuellen Pandemie. Es gab die schwarze Pest, die Cholera, die Spanische Grippe, die Pocken, das Dengue-Fieber, die Polio, Diphterie, die Masern, HIV, Zika, Ebola – fast alle deutlich tödlicher als Covid19. Die Menschheit war und ist trotzig: ungeachtet aller dieser Seuchen gab es noch nie so viele Menschen auf der Erde – was lief da schief?

Auch alle anderen Patienten mit ihren Erkrankungen benötigen unsere kontinuierliche Hilfe und dürfen nicht „zugunsten“ einer Viruswelle vernachlässigt werden – andernfalls komplizieren wir ihre Verläufe von Diabetes, KHK, cerebrovaskulären Insulten und progredienten onkologischen Erkrankungen. Die dadurch zwangsläufig zunehmende Mortalität abseits des Virus ist mehr als ein zynischer Kollateralschaden und gehört mit in die Corona-Statistik.

Caritas: Ausschließllich die Allianz von Pflegekräften, ÄrztInnen und WissenschaftlerInnen ist kompetent, diese Balance zu wahren – niemand sonst kann beide Herausforderungen bestehen, um die Schäden für alle unseren PatientInnen maximal zu begrenzen und gleichzeitig deren gesundheitliche Selbstbestimmung gegen die autoritären Notstandsgesetze unserer irrational-autokratisch agierenden Politik zu verteidigen.

Wir alle dürfen unsere Fettlebe, pardon, Diätfehler und deren gesundheitlichen Folgen lebenslang auf Kosten der Solidargemeinschaft austoben und diejenige Generation, die uns das Leben im Paradies ermöglicht hat, wird ihrer Grundrechte entmündigt in vital gefährlich vereinsamende „Schutzhaft“ gesperrt, ohne selbst entscheiden zu können, ob und welchem eventuellen Gesundheitsrisiko sie sich aussetzt?

Das ist hirnlos, hilflos, würdelos, skrupellos und damit - bodenlos!

Veritas: Dazu gehört, unseren Berufsstand als stets authentisch zu bewahren.

Wir sind Ärzte und somit nur unseren Patienten verpflichtet, nicht Politikern, die orientierungsarm und hilflos vor sich hin entscheiden.

Wir haben wahrheitsgemäß darauf hinzuweisen, dass es unsere Politiker in unseliger Koalition mit den Krankenkassen waren und sind, die Krankenhäuser in großem Umfang schließen und das Gesundheitswesen kaputtsparen, indem sie vehement für den bis heute geltenden, willkürlichen Zwangsrabatt auf Medikamente plädiert haben, aufgrund dessen wir heute von Drittländern abhängig sind.

Notorisch predigen jetzt dieselben Politiker, dass wir das nicht hätten zulassen dürfen – diese unterirdische Doppelmoral reizt zum akuten Regurgitieren.

Sie haben es zugelassen, unterstützt und eingefädelt, Krankenhäuser zu Schleuderpreisen an private Klinik-Heuschrecken zu verhökern und damit Gesundheit zum Renditeobjekt verkommen zu lassen.

Die Folgen erleben wir gerade.

Von diesen Politikern dürfen wir uns nicht leiten oder gar vorschreiben lassen, wie wir mit unseren Patienten – ja, auch Corona-Patienten – umgehen; ihre Aufgabe ist es lediglich, uns mit den notwendigen Mitteln auszustatten, unsere Arbeit zu machen – sie haben genug damit zu tun, die sozialen und wirtschaftlichen Folgen ihrer fragwürdigen Entscheidungen zu bewältigen. Machtgier ist jetzt ausnahmsweise nicht angesagt!

Was hilft?

Wieder einmal ein Blick in die Historie: an den Pocken sind im 19./20. Jahrhundert 500 Millionen, eine halbe Milliarde, Menschen gestorben. Die Älteren mögen sich erinnern: Vor gut 40 Jahren titelte die „New York Times“: „1979/10/26 - Small Pox Zero!“  Seitdem ist die Welt pockenfrei.

Ganz ohne „Global Digital Health“ ist es gelungen, seit 1969 innerhalb von zehn Jahren – übrigens unter ungebremster Vollast des öffentlichen Lebens - die Todesrate von 10 Millionen auf Null zu reduzieren. Nein, Pocken waren keine Heimsuchung Gottes – allein durch die Bündelung von Intelligenz der WissenschaftlerInnen, der ÄrztInnen und Disziplin der Menschen konnte die Seuche per Impfung eradiziert werden. Ein Schmankerl dazu: aus Angst der USA davor, dass andere Schurkenstaaten das Pocken-Virus gentechnisch wiederherstellen, um es als biologische Waffe einzusetzen, halten sie für 220 Millionen BürgerInnen Impfstoff inclusive Schutzanzügen und Masken(!!) bereit – bis heute…

Fazit:

Achten wir alle sorgsam darauf, dass „Personal“ zukünftig würdig „Mitarbeiterinnen“ und „Mitarbeiter“ heißt.

Passen wir alle auf, dass sie angemessen entschädigt werden für ihren immer – nicht nur bei einer Corona-Welle – aufopfernden Einsatz.

Entreißen wir den Börsenzockern - pronto - das Gesundheitswesen, die damit nur Monopoly spielen, um ihr Vermögen entmenschlicht zu vermehren – Gesundheit gehört ebenso wie Bildung und Kultur der gesamten Gesellschaft.

Wir haben die Pest, Cholera, Diphterie, Spanische Grippe, die Pocken, Dengue-Fieber, Zika und sogar das extrem tödliche Ebola-Virus überstanden. Auch werden wir zukünftig noch viele Pandemien erleben – Corona ist weder Tschernobyl noch Fukushima. Unsere Enkel werden durch Corona nicht an Leukämie sterben und nicht lebensverkürzend an kongenitalen Fehlbildungen leiden.

Sollte die Gesellschaft zukünftig nicht die allfällige Demut aufbringen, wünsche ich ihr, aufgrund einer Pandemie jedes Jahr die Welt für mehrere Wochen schliessen zu müssen und dass die reicheren Länder das bezahlen, ohne dass die ärmeren in Not geraten – eine ideologisch gänzlich unverdächtige, gesunde Umverteilung. Viren sind klassen- und grenzenlos.

Freiheit und Gesundheit gehen nicht gegeneinander, sondern nur miteinander.

Bleiben wir achtsam: wir sind nicht „systemrelevant“ – wir sind „lebens-wichtig“.

Herzlich

Ihr

Wolfgang Bühmann