Die DGU-Kolumne 10/2020

Autor: |Veröffentlicht am 20. November 2020|Aktualisiert am 21. März 2024

#Me too für die Sprache – urologischer Übergriff auf ein Kulturgut

20.10.2020. Bereits den Titel mit einem offensichtlichen Fehler zu beginnen, möge die Aufmerksamkeit auf das Folgende schärfen – natürlich muss es „#(Raute)Ich auch“ heißen…

Verehrte Frau Vorsitzende, sehr geehrtes Panel, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie zu unserer Battle Royale (Japanischer Spielfilm? Todescomputerspiel?) zwischen zwei exponierten opinion leaders zum Thema „Patient outcome measures bei der targeted therapy zum Downsizing des RCC“. Im Vorfeld dazu haben wir die Guidelines gereviewed, upgedatet und committet. Ebenso sind mehrere Followups unter Checkpoint- Inhibitoren gemonitort worden mit dem Trend, neue Substanzen als mögliche Game Changer und auch Pitfalls dabei zu identifizieren.

Hinweisen möchte ich noch auf unseren Newsletter, dessen Deadline wir verlängert haben, um die Performance durch Aufnahme aktueller Memory Lectures sowie modernes Wording zu verbessern und unserer Community asap (as soon as possible) zu übermitteln.

Zu unserem „Get together“ heute abend lade ich Sie herzlich ein und darf Ihnen die Anwesenheit unserer beiden Crossfire (US-Sportwagen? Kriegstaktik? Belgische Heavy-Metal-Band?) - Challenger (Triathlet? US-Raumfähre? Wettkämpfer?) von heute nachmittag ankündigen, die Ihnen gerne zum informellen „Meet the Professors“ zur Verfügung stehen. Das Catering mussten wir wegen der aktuellen Pandemie outsorcen, Speisen und Getränke werden Ihnen on demand am Tisch serviert.

Sollte Ihnen diese verbale Sondermülldeponie genauso peinlich sein wie mir, lesen Sie gerne weiter – wenn nicht, sparen Sie sich den Rest des Beitrages.

Alle Denglismen sind übrigens Original-Zitate vom aktuell-virtuellen „Best of-DGU-Kongress“ -  lediglich die Zusammenstellung habe ich etwas adaptiert. Verzeihen Sie mir das Versäumnis, in diesem Fall die Autoren bewußt nicht zu nennen. Bedanken möchte ich mich bei Rolf Harzmann, der mir seine Sammlung „Hohlprosa-Importe für Urologen“ zum besseren Verständnis überlassen hat.

Damit ist mir folgende Übersetzung gelungen: „Verehrte Frau Vorsitzende, sehr geehrte Moderatoren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie zu unserer Für-und Wider-Diskussion zwischen zwei hervorragenden Experten zum Thema 'Patientenergebnismessungen bei der gezielten Behandlung zur Rückbildung des Nierenzellkarzinoms'. Im Vorfeld dazu haben wir die Leitlinien betrachtet, aktualisiert und abgestimmt. Ebenso sind mehrere Verläufe unter Kontrollpunkt-Hemmern betrachtet worden mit dem Trend, neue Substanzen zum möglichen Behandlungswechsel und auch Nachteile dabei zu identifizieren.

Hinweisen möchte ich noch auf unsere Aussendung 'Aktuelles', deren Redaktionsschluss wir verlängert haben, um den Wert durch Aufnahme neuer Expertenbeiträge zu steigern und unserer Gemeinschaft zeitnah zu übermitteln.

Zu unserem 'Plausch' heute abend lade ich Sie herzlich ein und darf Ihnen die Anwesenheit unserer beiden Kontrahenten von heute nachmittag ankündigen, die Ihnen gerne zum zwanglosen Austausch zur Verfügung stehen. Die kulinarische Begleitung mussten wir wegen der aktuellen Pandemie auswärts bestellen, Speisen und Getränke werden Ihnen nach Wunsch am Tisch serviert."

Wenn ich diese Version gehört hätte, wäre meine sprachliche Seele nicht verschrammt worden und der sächsische Wein in Leipzig hätte vermutlich meine Zunge mit weniger Säure verspottet.Gilt diese Form verbaler Vergewaltigung als chic, lässig, anbiedernd, sorglos, gleichgültig oder muss uns unsere Muttersprache aus anderen Gründen peinlich sein?

Ein Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie in Deutschland darf in Deutsch ablaufen – ebenso sprechen wir Englisch in anderen Ländern, wenn das dort die konsentierte Verständigung ist.

Nicht eine verbale Sprache verbindet Menschen, sondern gemeinsame Werte in Köpfen und Herzen – Esperanto ist seit ihrer Erfindung 1887 deshalb kein Erfolgsmodell, weil sich niemand kulturell mit dieser wurzellosen „Welthilfssprache“ identifiziert. Sprache dient der maximal verständlichen Kommunikation zwischen Einwohnern eines Landes – gleich welcher Herkunft übrigens: nicht nationalistisch natürlich, allenfalls angemessen patriotisch. Es lebe der feine Unterschied.

Nur wir trauen uns wieder nicht, uns mit unserer wunderbar vielfältigen Sprache wie Goethe, Kant und Thomas Mann untereinander zu verzaubern – sie verdient es einfach nicht, zu international verkauderwelschtem Gestammel degradiert zu werden. Es gibt nicht ein einziges Wort, was nicht in Deutsch mindestens so wirkungsvoll auszudrücken ist wie in Dengliasiakyrilloafriglobalisch.

Andere Länder sind weiter – in Osaka singen japanische Chöre „Freude schöner Götterfunken…“ als weltweit völkerverbindenden Appell selbstverständlich in Deutsch: „Alle Menschen werden Brüder …" verstehen Alle ausser den politischen „Klassen“. Beethoven hätte 250 Jahre nach seiner Geburt Glückstränen in den Augen, wenn er das erleben dürfte.

Helfen Sie Alle, dieses unsere einmalige Kulturgut vor weiteren Übergriffen zu schützen: vor Inbetriebnahme des Lautformungsorgans Sprachgefühl einschalten – bitte.

Ich freue mich auf  „eUrologie“ in „Stuttgart 21“ mit dem landestypischen Wahlspruch „Wir können alles – ausser Hochdeutsch“ und schenke mir mit Überzeugung ein Wörterbuch „Schwäbisch für Norddeutsche“ zu Weihnachten.

Herzlich

Ihr

Wolfgang Bühmann