Die DGU-Kolumne 03/2021

Autor: |Veröffentlicht am 20. April 2021|Aktualisiert am 21. März 2024

Impfen – hebe Deinen Blick, dann siehst Du keine Grenzen!

20.03.2021. Urologie ist ein faszinierendes Fach – und wir Akteur*innen schauen begeistert durch immer kleinere, lupenreine Optiken in Blase, Ureter und Nieren oder bedienen den Joystick am Roboter, um technisch immer bessere Operationsergebnisse für unsere Patient*innen zu ermöglichen.

Die urologische Initiative 2018 zur HPV-Impfung der Jungen als neues Modul der Jungensprechstunde war konsequent und notwendig, der Erfolg jedoch bis jetzt eher überschaubar. Zwar werden aktuell genauso viele Jungen wie Mädchen geimpft, die Urolog*innen haben daran jedoch nur einen minimalen Anteil. Woran liegt das?

Ist es denkbar, dass der verliebte, minimalinvasive Blick zeitweise davon ablenkt, über den rein urologischen Tellerrand zu schauen?

In der Berufsbezeichnung „Fachärztin/Facharzt für Urologie“ ist noch vor der Spezialisierung der Fachgruppe das Wort „Ärztin/Arzt“ enthalten – unser Beruf endet mithin nicht am Oberrand des Retroperitoneums.

Impfen ist die erfolgreichste medizinische Maßnahme und damit eine prioritäre gesamtärztliche Aufgabe. Welche Impfung auch immer – jede ist sowohl präventiv als auch im Hinblick auf ihre gesamtgesellschaftliche wie individuelle  Gesundheit, Lebensqualität und Mortalität allen, auch urologischen, reparativen Prozeduren unschlagbar haushoch überlegen und evident. Einen 26jährigen vom Hodentumor zu heilen, einen 69jährigen virtuos robotisch mit negativen Schnitträndern von seinem Prostatacarcinom zu befreien, ist nicht einmal mikrokosmisch so wirksam wie eine HPV-, Herpes zoster-, Influenza- Pneumokokken- oder Covid-Impfung.

Kurzer Faktencheck propädeutischen ärztlichen Wissens: Impfungen retten laut WHO (2009) das Leben von weltweit mehr als 3 Millionen Menschen jährlich und schützen weitere Millionen vor Krankheit und lebenslanger Behinderung – mit einer einzigartigen Relation zwischen Nutzen und möglichen Nebenwirkungen. Impfstoffe gibt es mittlerweile gegen mindestens 28 Krankheiten. Im 20. Jahrhundert kam es bis zur Eradikation der Pocken 1978 zu weltweit geschätzten 375 Millionen Todesfällen.  Es wird geschätzt, dass weiterhin jährlich 1,5 Millionen Kinder (drei pro Minute) an impfpräventablen Infektionen sterben.

Apropos Covid: niemand hätte vor noch zwölf Monaten geahnt, welchen Stellenwert eine Impfung plötzlich weltweit gewinnt.

Wie nicht anders zu erwarten, gehen die deutsche Politik und alle damit befassten Institutionen inclusive der gesundheitlichen Selbstverwaltung damit mutlos, hirnlos, würdelos, hilflos und damit sinnlos um.

Und nun?

Jede/r approbierte Ärztin/Arzt darf impfen - selbstverständlich. Die angeblichen Hürden liegen nur bei der Kohle – wer darf was wie abrechnen? Für potentielle Impfschäden aus STIKO-empfohlenen Impfungen haftet übrigens nicht die Ärzt*in, sondern der Staat, sprich die Gesellschaft.

Aktuell warten umtriebige Helfer*innen mit rotgelben Strampelanzügen in kalten Zelten auf Impfstoff und Impfwillige. Wenn die Fehlkalkulation in der Impfstoffbeschaffung in wenigen Wochen von einem Tsunami an Impfstoffen überspült werden wird, gibt es über Nacht viel zu wenige Impfer*innen – laut konservativen KV- und Industrieschätzungen werden wir zum Ende des 2. Quartals über mindestens 75 Millionen zugelassene Impfdosen verfügen, die mit der aktuellen Logistik eher im Dorfteich landen als in den Oberarmen bedürftiger Menschen.

Was tun?

Es gibt in Deutschland 403.000 approbierte Ärzte*innen , 157.000 im ambulanten, 201.000 im stationären und 45.000 in sonstigen Bereichen. Alle dürfen impfen – wenn man sie ließe, wäre der Spuk der Impfkonflikte im Sommer vorbei. Alle Kliniken, alle Praxen, alle Gesundheitsämter, alle Rehakliniken bekommen Impfstoff und die Impfungen würden flächendeckend dezentral in geheizten Räumen gepflegt und zügig erledigt.

Auch die 6234 Urolog*innen, davon 3500 niedergelassen, 2734 stationär tätig, gehören dazu. Alle sollten mit impfen. Warum denn nicht ?

Wenn  ärztliches Ethos, Selbstverständnis und mein Appell nicht genügend motivieren, geht‘ s vielleicht mit den Dollarzeichen im Auge: Je schneller alle geimpft sind, desto eher können wir wieder an unsere heißgeliebten Instrumente zurück und um die Almosen aus DRG’s, Case -Mixes, EBM und GOÄ wetteifern. Niemand würde doch ohne Harnschau zum Ausschluss einer Infektion eine Operation beginnen. Warum bieten wir unseren Patient*innen nicht genauso selbstverständlich HPV-, Herpes-, Influenza-, Pneumokokken- und Covid-Impfungen, um ihre Gesundheit zu schützen, wie Urintest, Sonographie, Cystoskopie und alle operativen Künste?

Dazu gibt’s ja um die extrabudgetären 100 € für die Impfstunde. Für ein warmes Abendessen sollte es genügen.

Sind wir uns einig, dass Urolog*innen, die virtuos cystoskopieren, laparoskopieren und robotektomieren, auch ein Impfserum durch eine kleine Nadel zielgenau im Oberarm platzieren können? Danke für Ihr einstimmiges „Ja“.

Heben Sie Ihren Blick über den Rand des urologischen Tellers, steigen Sie lokal, regional und bundesweit in diesen Zug ein und bieten sich an, zu impfen.

Wenn alles nichts nützt, hat die Urologie nichts Besseres verdient.

Herzlich

Ihr

Wolfgang Bühmann