Die Uro-Kolumne 08/2022

Autor: |Veröffentlicht am 18. September 2022|Aktualisiert am 21. März 2024

Wie lange machen Sie denn noch?

20.08.2022. Diese Frage bekomme ich im letzten Jahr immer häufiger von meinen, meist langjährigen Patienten gestellt. Der manchmal darauffolgende Blick in den Spiegel sagt mir, dass die Frage nicht ganz ohne Berechtigung ist. Meine Antwort ist dann, beim ersten Mal musste ich da etwas überlegen, dass ich so lange weitermachen würde, bis ich entweder das Gefühl hätte „zur Arbeit zu gehen“, oder bis mein sechszehn Jahre jüngerer Kollege mir unmissverständlich signalisiert, dass die Verschrobenheit des alten weißen Mannes nur noch schwer zu ertragen sei. Es stimmt, ich gehe morgens nicht zur Arbeit, dieses Gefühl hatte ich in den nun fast zwei Jahrzehnten der Niederlassung an keinem Tag – ich bin an einen Ort gegangen, an dem ich das tun kann, was ich liebe, was mich erfüllt und rundum zufrieden macht. Es ist aber nicht irgendein Ort, irgendeine beliebige Arbeitsstätte, sondern mein/unser „Laden“, den wir mit viel Fleiß und manchmal etwas Anstrengung zu dem gemacht haben, was er heute ist. Für dieses Gefühl, aber auch die Freiheit, mit der ich meinen ärztlichen Beruf ausüben kann, bin ich mehr als dankbar.

Realistisch gesehen sollte ich mich jetzt langsam, aber sicher auf die Suche nach einem Nachfolger machen, meinen Kollegen damals zu finden als mein Altpartner ausgestiegen ist, hat immerhin zweieinhalb Jahre gedauert.
Die beste Idee, so dachte ich wenigstens, wäre die Einstellung eines Weiterbildungsassistenten. Auf diesem Weg hat ein junger Kollege die Chance sein Fach von einer völlig neuen Seite zu entdecken, mit Patienten auf einer ganz anderen Ebene zu arbeiten und nicht zuletzt Tipps und Tricks von alten Hasen zu bekommen, die man eben in der Klinik nicht lernt. Die Dichte an urologischen Kliniken in unserer „Metropolregion“ ist nicht gerade gering, unser MVZ zog vor knapp 2 Jahren in neue Räumlichkeiten, somit alles, bis zum letzten Bürostuhl einmal „neu“, wir sind zwei umgängliche Menschen, unsere Damen (MFA’s) sind hochmotiviert und die Ertragslage ist mehr als auskömmlich. Also nahmen wir frohgemut das Telefon in die Hand, um Tage später ziemlich frustriert zu realisieren - es ist ein Problem!

Als ich dann noch die SMS eines nicht weit entfernten Ordinarius bekam, er habe alle in Frage kommenden Kollegen angesprochen, aber nahezu unisono sei ihnen der Fahrtweg von einer halben Stunde einfach zu weit, musste ich sofort daran denken, dass ein Zimmermanngeselle auf der Walz ob dieser satten Bequemlichkeit verständnislos den Kopf schütteln würde.

Wir haben hier aber auch ein bedrohliches Problem für unser Fach, immerhin das Zukunftsfach überhaupt in den nächsten 10-15 Jahren. Ich bin ein Baby-Boomer-Kind und von uns gehen demnächst ca. 40% in den Ruhestand. Wenn wir also die ambulante Präsenz unseres Faches sichern wollen, wird es jetzt Zeit aktiv zu werden und die sich bietenden Chancen zu nutzen. In der Urologie ist nicht nur nahezu die gesamte Diagnostik ambulant machbar, auch die kleine urologische Chirurgie stellt im ambulanten Setting kein Problem dar. Wir sind die letzte „Bastion“ der Organonkologen, alle anderen Disziplinen haben an die Hämatoonkologen übergeben. Die urologische Onkologie an sich verschiebt sich aber immer mehr von der klassischen Chemotherapie weg zur (individualisierten), in den allermeisten Fällen ambulant durchführbaren Tumortherapie, gerade hier liegt die Chance in der Niederlassung anspruchsvolle Urologie zu machen, gerne auch im Netzwerk mit nahegelegenen Kliniken.

Liebe junge Kolleginnen und Kollegen, was hält Euch ab, die Nase in den Wind zu strecken und die „andere Seite“ kennenzulernen? Die Klinik nimmt Euch mit Kusshand zurück, wenn Ihr nach einem Jahre realisieren solltet, dass eine Niederlassung nicht passt. Ihr gewinnt auf alle Fälle Erfahrung, die Euch keiner mehr nimmt, und wenn es passt, habt Ihr ggf. die Möglichkeit in eine Praxis einzusteigen oder Sie zu übernehmen. Es wartet ein Leben als freiberuflicher Arzt, auch in der „KV-Zwangsjacke“ gibt es Freiräume, jede Menge erfüllende Begegnungen mit Menschen, die man teilweise Jahrzehnte begleitet, viel Verantwortung, manchmal auch Ärger und Ihr habt ein vernünftiges Auskommen in den oberen drei Prozent der Einkommenspyramide. Das Gefühl aber, selbst etwas zu schaffen, zum Erfolg zu führen und jeden Tag mit Euren Entscheidungen einen exzellenten Job zu machen, ist einfach unschlagbar! Traut Euch – wir warten auf Euch!

Herzlichst

Ihr Holger Uhthoff