Die Uro-Kolumne 03/2023

Autor: |Veröffentlicht am 19. April 2023|Aktualisiert am 21. März 2024

Beschneidung: Iustitia ist blind und die Urologe*innen schauen weg – warum nur?

20.03.2023. Erinnern Sie sich: am 7.5.2012 erging ein Urteil des Landgerichts Köln nach einer stationär behandlungspflichtigen Blutung als Folge einer rituellen Circumcision eines Vierjährigen. Der operierende Kollege wurde erst in der Revision freigesprochen, „weil er sich sicher wähnte, rechtskonform zu handeln“. Naja, ziemlich verbogen, finde ich.

Im Dezember 2012 beschloss der Bundestag mit immerhin – oder nur – 99 Gegenstimmen – folgendes  Gesetz:

BGB § 1631d
Beschneidung des männlichen Kindes

(1) Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll. Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird.

(2) In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes dürfen auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen gemäß Absatz 1 durchführen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind.

Übersetzt bedeutet das, eine nicht indizierte Beschneidung bis zum 6.Lebensmonat auch durch Nichtärzte*innen straffrei durchführen zu dürfen – dazu noch die Erlaubnis für Eltern, ohne Einwilligung ihres Kindes so etwas durchführen zu lassen.

Das kollidiert mit dem Grundgesetz („Die Würde des Menschen und das Recht auf körperliche Unversehrtheit sind unantastbar“ und die dort verankerte Religionsfreiheit), mit dem Strafgesetzbuch § 223 Körperverletzung, § 226a Verstümmelung weiblicher Genitalien

- und unserer ärztlichen Berufsordnung

§ 1

Aufgaben der Ärztinnen und Ärzte

(2) Aufgabe der Ärztinnen und Ärzte ist es, das Leben zu erhalten,

die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen,

Leiden zu lindern, Sterbenden Beistand zu leisten und an

der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen im Hinblick

auf ihre Bedeutung für die Gesundheit der Menschen

mitzuwirken.

§2,(2)…Insbesondere dürfen sie nicht das Interesse Dritter

über das Wohl der Patientinnen und Patienten stellen.

 

Iustitias Blindheit ist ein Symbol für ihre Unparteilichkeit. Gemeint ist, dass Iustitia objektiv anhand der Sachlage richtet. Iustitia richtet also ohne Ansehen der Person. Nicht gemeint ist ihre Blindheit, eigene konterkarierende Gesetze zu übersehen.

Der unselige § 1631 d ist nichts als eine Verbeugung vor religiösen jüdischen und muslimischen Ritualen. Damit das völlig klar ist: ich achte beide Religionen hoch und habe Freunde*innen in beiden Glaubensgemeinschaften. Dennoch konnte mir bis heute niemand erklären, warum die Entfernung eines Körperteils conditio sine qua non für einen Glauben sein soll.

Auch die von Christen initiierten mittelalterlichen Hexenverbrennungen wurden abgeschafft, ohne daß das Christentum verschwand. Natürlich kann ein Mensch auch mit Vorhaut jüdisch oder muslimisch glauben. Würden Sie einem Kind eine Kleinfingerkuppe abtrennen, weil seine Eltern das als unabdingbar für ihre Religion fordern?

Leider ist die Indikationsbeugung der Circumcision in der Urologie immer noch verbreitet. Es sind überwiegend Kinderchirurge*innen, die sich mehr dem Kindeswohl als verirrten Ritualen von Eltern verpflichtet fühlen, weil sie verstanden und verinnerlicht haben, dass Kinderschutz unteilbar zu sein hat.

Was halten Sie von der normativen Kraft des Faktischen, indem sich alle Urologe*innen analog einstellen und kollektiv medizinisch nicht indizierte Circumcisionen ablehnen?

Auch unserer Fachgesellschaft würde es gut stehen, uns Orientierung zu geben und sich hinter folgenden Brief zu stellen:

weltanschauungsrecht.de/meldung/offener-brief-kinderschutz-selbstbestimmung-Beschneidungserlaubnis-abschaffen

Herzlich

Ihr

Wolfgang Bühmann