Die Uro-Kolumne 05/2023

Autor: |Veröffentlicht am 18. Juni 2023|Aktualisiert am 21. März 2024

Flieht Ihr Narren

20.05.2023. Das rief Gandalf in den Minen von Moria seinen Gefährten zu und wenn es so kommen sollte wie geplant, wird das die folgerichtige Reaktion vieler Kollegen meiner Generation sein.

Karl Lauterbach schickt sich an, mit einer großen Doppelklingenaxt der ambulanten Medizin in freier niedergelassener Praxis eine tiefe Wunde zuzufügen, wenn er sie nicht damit mittelfristig sogar zu Grabe trägt. Was ist der Plan?

KL will auf Grund der zunehmenden Fehlinanspruchnahme von Krankenhausambulanzen und des Rettungsdienstes durch sog. „Notfälle“, die Notdienstversorgung in Deutschland reformieren.  Bei Schuldzuweisungen ist man wie immer schnell bei der Hand. Neben der patientenseitigen Unkenntnis der Funktionalität unseres Gesundheitssystems, sind es vor allem wir Niedergelassenen. Wir stellen weder ausreichend Behandlungskapazitäten zur Verfügung noch halten wir, wohlgemerkt bei budgetierter Vergütung, ausreichend schnell Termine vor. 

Die Errichtung von integrierten Notfallzentren (INZ), verortet an Kliniken, und integrierten Leitstellen (ILS) ist KL‘s Antwort auf immer mehr Patienten, die sich sehr wohl im System auskennen und eben nicht wochenlang auf einen Termin zu warten bereit sind, sondern kackfrech mit dem Zauberspruch „Ich bin ein Notfall“ Klinikambulanzen und Notdienstpraxen fluten, um schnell und bequem maximal diagnostiziert und therapiert zu werden.

In erster Betrachtung klingen INZ und ILS vernünftig und charmant, allerdings war die Politik bei Begrifflichkeiten schon immer kreativ, ich verweise hier nur auf den Terminus „Sondervermögen“ (Neusprech für Schulden). Der Blick hinter die schön anmutende Fassade lässt allerdings die hässliche Wahrheit sichtbar werden.

Die INZ sind mit Klinikärzten und niedergelassenen Ärzten zu besetzen, erwähnt werden die Fächer Innere, Chirurgie, Allgemeinmedizin oder Anästhesie allerdings sind weitere grundversorgende Disziplinen bereits angedacht, hierzu gehören auch wir Urologen.
Klingt immer noch relativ harmlos, wir Ärzte sind ja durchaus leidensfähig, aber mit dem folgenden wird die Büchse der Pandora geöffnet.

Die INZ sollen 24/7 betrieben werden und der aufsuchende Bereitschaftsdienst auf 24/7 ausgebaut werden, d.h. es wird eine parallele ambulante Versorgungsschiene aufgebaut, die in direkter Konkurrenz zur etablierten Versorgung durch Freiberufler in eigener Praxis steht, und einen Circulus vitiosus etabliert, aus dem es irgendwann kein Entrinnen geben wird.
Niedergelassene Ärzte sitzen zwangsweise (Sicherstellungsauftrag!), auch während Ihrer üblichen Praxissprechzeiten im INZ, dies verknappt deren Behandlungsangebot in der Praxis, was wiederum zur vermehrten Inanspruchnahme der INZ und einem Mehrbedarf an dort tätigen Ärzten führt, was dann, man glaubt es kaum, eine noch größerer Terminknappheit zur Folge hat….
Hier werden schnell die ersten Praxen an ihre Rentabilitätsgrenze stoßen, denn die sehr dürftige Bereitschaftsdienstvergütung steht in keinem Verhältnis zu dem, was in der gleichen Zeit in der Praxis zu erwirtschaften wäre, mithin stellt sich die Frage wer die Patienten der Praxis versorgt, während der Inhaber Dienst im INZ schiebt. Die Finanzierung dieses Wahnsinns übernehmen für die Klinikseite größtenteils die Krankenkassen, der KV-INZ-Anteil wird aus KV-Mitteln zu bestreiten sein, also aus einer Bereitschaftsdienstumlage, die aus unseren Honoraren im Vorwegabzug entnommen wird.

Die Möglichkeit sich, gegen ein Schmerzensgeld, von einem Kollegen vertreten zu lassen, schwindet aktuell auch, denn die Rentenversicherer gehen mittlerweile von einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit des Vertreters aus, und nicht wie bisher von einer

selbständigen Tätigkeit auf Honorarbasis. Es ist nur eine Frage von sehr kurzer Zeit, bis die ersten Sozialgerichte hier entsprechend urteilen werden. Es bleibt jedem unbenommen, während des Dienstes einen Vertreter in seiner Praxis zu beschäftigen. Abgesehen davon, dass man bei einem derartigen Handeln sofort in die Akutpsychiatrie eingewiesen werden müsste, wird auch hier eine angestellte und damit sozialversicherungspflichtige Tätigkeit des Vertreters unterstellt – wir werden also zukünftig, auch im Krankheitsfall, keine Vertretungen mehr finden.

Dieser ganze Nonsens ist in schöne Worthülsen gepackter, sinnfreier Aktionismus, der nicht im Mindesten zu Ende gedacht wurde. Wenn die Politik ernsthaft an einer vernünftigen Lösung interessiert wäre, gäbe es einen ganz simplen Weg, nämlich den bislang niederschwelligen Zugang zur Notdienstversorgung wegen jedes quersitzenden Flatus, durch eine deftige Eigenbeteiligung zu erschweren- Rückvergütung bei „echtem Notfall“ inbegriffen. Für diese unpopuläre Maßnahme müsste die Politik aber Rückgrat – Rückgrat?

Herzlichst

Ihr Holger Uhthoff