Die Uro-Kolumne 06/2023

Autor: |Veröffentlicht am 19. Juli 2023|Aktualisiert am 21. März 2024

Die verlorene Kunst des Heilens…

20.06.2023. …als Untertitel zu den Memoiren von Axel Haverich („Der menschliche Faktor“), gerade mit 70 emeritierter Ordinarius für Herzchirurgie an der Medizinischen Hochschule Hannover, inspiriert mich zu dieser Kolumne. Mit 400 Herz- und 300 Lungentransplantationen kann er eine weltweit außergewöhnliche Expertise vorweisen, mit der ihm jetzt eine bemerkenswerte Gesamtschau auf das vermeintlich moderne Gesundheitswesen möglich wird und eine beeindruckende Verbindung zwischen absoluter Spitzenmedizin und menschlicher Demut gegenüber Patient*innen gelingt.

Was meine ich? Unsere geradezu devote Akzeptanz der feindlichen Übernahme ärztlich-ethischer Werte durch die Ökonome*innen sollte unseren gesamten Berufsstand beschämen und zu deutlich vernehmbarem zivilen Ungehorsam motivieren.

Unsere Vorgängergeneration hat nahezu kompromisslos zugunsten der ihnen anvertrauten Kranken gehandelt und die Verwaltungen auf ihre Rolle der wirtschaftlichen Kompensation erbrachter Leistungen beschränkt – meist mit deren Toleranz und seltsamerweise ohne Flächenbrände der Insolvenz. Warum? Es wurde einfach bezahlt, was notwendig und sinnvoll war – entschieden haben Ärzte*innen.

Die von unserem mit der Empathie einer Röhre Sedativa gesegneten obersten Aufseher K.L. aufgezogene Drohflagge der Pleite zeigt seine absolut nichtärztliche Ignoranz in unseliger Kombination mit sozialneidischer Verachtung heimlich bewunderter Kollege*innen, die unser weltweit sozial wie inhaltlich einmalig erfolgreiches Gesundheitswesen zunehmend vergiftet. Ein Krankenhaus kann nur in die Pleite geraten, wenn ihm politisch willkürlich der Geldhahn zugedreht wird. Es ist absolut töricht, die Existenzberechtigung auch kleinerer Krankenhäuser als humane Errungenschaften wohnortnaher Daseinsfürsorge zu leugnen und damit Kranke ebenso gegen sich aufzubringen wie regionale politische Vertreter*innen der Bevölkerung. Geradezu zynisch wäre (oder ist) es, die Maximalversorger in den internen Kampf gegen die Grundversorger zu schicken. Angesichts sorg- und verantwortungslos verteilter dreistelliger Milliardenbeträge für Militär, Beamten-/Poltikerpensionen, Subventionen an Lobbyverbände unterschiedlicher Couleur und so weiter erhebt sich naheliegend die Frage, warum ausgerechnet die Gesundheitsversorgung diese Wohltaten er - sparen soll: Gesundheit ist nicht alles, ohne Gesundheit ist jedoch alles nichts… - oder etwa nicht?

Älter werden und möglichst lebenswert gesund zu bleiben möchten alle. Das kostet (viel) Geld – oder akzeptieren wir kollektiv das „sozialverträgliche Frühableben“ (Zitat Prof.Vilmar, Ex-BÄK-Präsident) ? Also fragen wir unsere Gesellschaft – nicht die Politik, wieviel Gesundheit sie sich wünscht und richten daran die Finanzierung aus. Wenn es jemand kann, dann Deutschland – sozial, finanziell und vor allem menschlich.

„Die Medicin ist eine sociale Wissenschaft,und die Politik ist weiter nichts als Medicin im Grossen“, wird der Arzt und Politiker Rudolf Virchow gerne zitiert.

Es gab genug Ökonomie und Politik in der Medizin, jetzt ist es Zeit für mehr Medizin in der Ökonomie und in der Politik: es ist an der Zeit, Virchow beim Wort zu nehmen. (Pedram Emami, Präsident LÄK Hamburg)

Zurück zu Axel Haverich: Die verlorene Kunst des Heilens haben wir selbst zu verantworten – wir müssen sie nicht einmal wiederfinden, sondern uns lediglich ihrer erinnern und sie wiederbeleben.

„Bei der Untersuchung der Krankheit gewinnen wir Weisheit über Anatomie, Physiologie und Biologie. Bei der Untersuchung des Menschen mit Krankheit gewinnen wir Weisheit über das Leben.“ (Oliver Sacks, britischer Neurologe und Medizinphilosoph)

Was nun? Besinnen wir uns auf unsere Stärken – der unbedingte Wille, zu helfen mit unserer ärztlichen Kompetenz und rechtfertigen das Vertrauen unserer Patient*innen: zeigen wir unseren Entscheider*innen deutlich – wenn nötig, auch ultimativ, was sie mit ihrem ausschließlich merkantil motivierten Denken an Leid, sozialer Kälte und Inhumanität anrichten. Geld ist nur ein Tauschmittel und erhebt niemanden über Andere.

Herzlich

Ihr

Wolfgang Bühmann