Die Uro-Kolumne 12/2023

Autor: |Veröffentlicht am 19. Januar 2024|Aktualisiert am 21. März 2024

Geht die Humanität jetzt komplett den Bach hinunter?

20.12.2023.  Als „Sternstude der Menschlichkeit“ habe ich dem Bundesverfassungsgericht für dieses Urteil vor fast vier Jahren in der Kolumne meinen hohen Respekt gezollt:

„Am 26.02.2020 hat das Bundesverfassungsgericht den Paragraphen 217 des Strafgesetzbuches für nichtig erklärt: das 2015 eingeführte Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe verstößt gegen das Grundgesetz.

Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben besteht in jeder Lebensphase eines Menschen.

Sterbehilfe darf zudem nicht davon abhängig gemacht werden, ob zum Beispiel eine unheilbare Krankheit vorliege. Wir mögen seinen Entschluss bedauern, wir dürfen alles versuchen, ihn umzustimmen, wir müssen seine freie Entscheidung aber in letzter Konsequenz akzeptieren.“

Damit war alles klar, sämtliche Bedenken ausgeräumt und nach menschlichem Verständnis sämtliche etwa einschränkenden und nachgeordneten Rechtsnormen nichtig: jederzeit darf – nach naturgemäß fremdbestimmtem Eintritt ins Leben – jeder Mensch frei entscheiden, wann er sein Leben beendet und dafür auch Hilfe in Anspruch nehmen, die grundsätzlich straffrei bleibt. Natürlich, was denn sonst?

Erster Anlaß zum Fremdschämen kam auf, als ausgerechnet unsere führenden Standesvertreter aus der Bundesärztekammer Bedenken anmeldeten, um sich erneut nicht etwa als Hüter der Menschlichkeit, vielmehr als selbst ernannte Gebieter über Leben und Tod zu exponieren – einfach nur eitel, arrogant und unärztlich inhuman.

Vor wenigen Wochen hat das Bundesverwaltungsgericht die Klage eines MS-Tetraplegikers höchstrichterlich abgewiesen, der in gutem Glauben an das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes Pentobarbital beziehen wollte, um sein Leben selbstbestimmt zu beenden. Die Mißbrauchsgefahr durch den freien Bezug dieser unstrittig maximal menschlichen Substanz zur Sterbehilfe sei zu hoch und es gebe genügend Alternativen, diesen Entschluß umzusetzen. Wie denn, bitte schön?

Wohlgemerkt, es muss keine finale Krankheit vorliegen, um sein Leben beenden zu dürfen. Damit wird es noch inhumaner, zwar den mobilen und haptisch uneingeschränkten Menschen das Spektrum aller Instrumente aufzuzeigen, diesen Entschluß zu verwirklichen, den final Kranken jedoch eine der humansten Optionen zu verwehren: ich habe Mühe, dafür einen negativen Superlativ auszusprechen, ohne persönlich meine Contenance zu riskieren. Geneigten Leser*innen mag diese Andeutung genügen.

Als stummer Beweis für das Augenmaß dieses liberalhumanen Urteils mag dienen, daß unser Land inzwischen nicht durch Suizide entvölkert wurde, insbesondere nicht durch etwa sorglosen Umgang mit letal wirksamen Substanzen.

Sollen ebenso Insulin, Digitalis, E 605 oder Küchenmesser als mögliche Alternativen verboten werden, um einem möglichen Mißbrauch vorzubeugen? Die Selbstbestimmung jedes Menschen wurde von dem höchsten deutschen Rechtsorgan eindeutig und unwiderruflich festgeschrieben – in reiner Interpretation unseres ziemlich fabelhaften Grundgesetzes. Zunehmend wird es ja aufgerufen, den selbstverliebten, gleichsam jedoch willkürlichen wie maßlos ahnungslosen Repräsentanten der politischen „Klasse“ in ihrem unseligen Tun Einhalt zu gebieten. Wie gut, daß es dieses Gericht gibt! Umso beschämender wirkt es, wenn andere Rotberobte ihren Kolleg*innen in die Fersen treten, um ihre vermeintlich eigene Macht hinterrücks zu demonstrieren versuchen – ohne jede menschliche Regung.

Ist es eher zynischer Vorsatz oder sadistische Hybris, jedem Menschen vorzuschreiben, wie und wann er sein Leben zu beenden beschließt? In einem humanen und gleichberechtigten Gemeinwesen ist das als selbstverständlicher Grundsatz zu respektieren. Niemand hat das Recht, sich über andere zu erheben und die Würde des Menschen nach eigenem Gusto einzuschränken. Oder gibt es etwa abweichende Meinungen dazu?

Wollen wir wirklich kollektive Entmündigung und hemmungslosen Egoismus der Menschlichkeit vorziehen? Mit welchem Ziel?

Einfach: NEIN!

Herzlich

Ihr

Wolfgang Bühmann