Die Uro-Kolumne 01/2024

Autor: |Veröffentlicht am 19. Februar 2024|Aktualisiert am 21. März 2024

Ich hau Dir auf die Fresse

20.01.2024. Diesen Satz, meistens in kurpfälzischem Dialekt, habe ich sehr oft in meiner Studentenzeit gehört, immerhin habe ich in den 80iger Jahren zur Aufbesserung meines studentischen Budgets, in verschiedenen Clubs Mannheims „die Tür gemacht“. Das gehörte, im Nachtleben gelten etwas andere Regeln als in der Gesellschaft bei Tag, quasi zum „Berufsrisiko“ – passiert ist in der Regel nichts.

Es darf aber unter keinen Umständen zum Berufsrisiko von Ärzten oder Pflegekräften gehören, dass sie bei ihrer Tätigkeit am und für den Menschen „auf die Fresse bekommen“, wie neulich in der Silvesternacht in der Notaufnahme im Sana-Klinikum Berlin-Lichtenberg, als ein Pfleger und ein Arzt von mutmaßlichen „Gästen“ unseres Landes (die Bilder der Überwachungskamera implizieren das) brutal attackiert und niedergeschlagen wurden.

Die umgehende Reaktion in der Presse seitens der Klinik war der Verweis auf das Angebot professioneller Hilfe für die Opfer und bereits etablierte Deeskalationstrainings – diese scheinen im vorliegenden Fall versagt zu haben, möglicherweise waren sie nicht multilingual.

Die erste politische Reaktion, selbstredend von KL auf seinem X-Kanal, war die Forderung nach härteren Strafen „Unser Gesundheitssystem braucht mehr Sicherheit“, um Tage später dem Ganzen die Krone aufzusetzen, indem er in der Bild-Zeitung schwadronierte, es gäbe „Null-Toleranz“ bei Gewalt gegen medizinisches Personal und man prüfe rechtlich, dass in diesen Fällen der gewalttätige oder beleidigende Patient die Kosten seiner Behandlung selbst tragen müsse.

Einmal mehr ein genialer Vorschlag des Gesundheitsministers, der eine genaueres Durchdenken durchaus wert ist: Der unzufriedene Patient bricht dem Arzt mit einem virtuosen rechten Haken das Nasenbein und verlässt nach dieser Unmutsäußerung die medizinische Einrichtung. Nachdem der malträtierte Kollege sich sortiert hat, verfasst er dann, mit tamponierter Nase, auf dem Formblatt „GiG001“ (Gewalt im Gesundheitssystem) eine Meldung an die Krankenkasse oder das Sozialamt, die sodann die Behandlungskosten dem Schläger in Rechnung stellen. Absurd, finden Sie nicht?

Kehren wir zur Realität zurück. Die Gewalt gegen Hilfspersonen und medizinisches Personal nimmt zu. Die Gründe könnte man lang und breit diskutieren, sicher spielt ein zunehmend dysfunktionaler, ordnungspolitisch schwacher Staat eine zentrale Rolle. „No-Go-Areas“ in Großstädten, in die sich nicht einmal mehr die Polizei ohne SEK hineintraut, werden mittlerweile einfach schulterzuckend hingenommen. „Aktivisten“, egal wofür oder wogegen sie aktiv sind, werden von staatlicher Seite nicht nur mit Samthandschuhen angefasst, sondern über verzweigte Strukturen, aus Teilen der Politik sogar finanziell unterstützt. Kurzum der Respekt in der Gesellschaft geht immer mehr vor die Hunde, vielleicht auch durch eine in rasender Geschwindigkeit heterogener werdenden Gesellschaft im Hinblick auf ethnische Herkunft und soziokulturellem Hintergrund.

Das Philosophieren über die Ursachen seitens der Politik, das pseudoempörte Mahnen und Verurteilen der Gewalt gegen Hilfskräfte, das „Null-Toleranz-Mantra“ (wo bitte hat Toleranz bei Gewalt eine Berechtigung?), ggf. das Einsetzen eines „Gewaltbeauftragten im Gesundheitssystems“ seitens der aktuell im „out-of-order“-Modus blinkenden Ampel, hält weder die nächste Beleidigung oder Tätlichkeit auf.

Wenn sich Pfleger, MFA‘s oder Ärzte bei Ausübung ihrer Tätigkeit nicht sicher fühlen können, und die Angst vor Übergriffen, egal welchen Schweregrads, zum „Berufsrisiko werden sollte, wird unsere Gesundheitssystem personell noch schneller ausdünnen, als ohnehin schon auf Grund des bestehenden Missverhältnisses zwischen Arbeitsbedingungen und Vergütung.

Im Falle eines Übergriffes wird die gerufene Polizei in der Regel zu spät eintreffen, um die Körperverletzung wirksam verhindern zu können, so dass wir im Hinblick auf die aktuelle gesellschaftliche Situation nicht umhin kommen werden, Krankenhäuser und Notfallpraxen (demnächst INZ), besonders in Problembezirken, mit einem Sicherheitsdienst aufzurüsten, der Übergriffe zuverlässig verhindert und im äußersten Fall die gröberen Passagen einer Patienten-Arzt-Kommunikation übernimmt. In der urologischen Praxis, mit glücklicherweise noch selten auftretenden Zwischenfällen, dürfte ein Kurs in Krav Maga oder ein amerikanisches Sportgerät aus stabilem Hickory-Holz die handfeste Unterhaltung mit einem Patienten zu Gunsten des medizinischen Personals entscheiden.

Selbstredend ist ein Patient der gegenüber medizinischem Personal tätlich wird nicht nur strafrechtlich zu verfolgen, sondern ihm muss auch die solidarfinanzierte Teilhabe am Gesundheitssystem zeitlich befristet, in schweren Fällen auch dauerhaft, verwehrt werden.

Herzlichst

Holger Uhthoff