Die Uro-Kolumne 05/2024

Autor: |Veröffentlicht am 19. Juni 2024|Aktualisiert am 19. Juni 2024

Rehabilitation der Beutelschneider

20.05.2024. Viele Jahre lang wurden wir Urologen als unethisch, amoralisch und geldgierig seitens Politik und kranker Kassen bezeichnet, gar beschimpft, und das nur, weil wir uns erdreisteten, den früherkennungswilligen Mann nach medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen zu beraten. In diesem Gespräch fiel dann selbstredend das Wort PSA, über lange Zeit aus Kassensicht ein Terminus der Verdammnis. Sie wurden nicht müde den verunsicherten Mann glauben lassen zu wollen, dass dessen Bestimmung unweigerlich in der körperlichen Verstümmelung münde, und das graue Siechtum als impotenter Windelträger das unabwendbare Schicksal darstelle. Wir Urologen waren die Beutelschneider am (Geld)beutel des Mannes und skrupellos bereit, seine Gesundheit für eine paar Taler zu opfern.

Die Politik, allen voran der ehemalige diabolische Einflüsterer von Frau Ulla Schmidt keilte 2008 auf Facebook: IGEL-Leistungen sollten wir verbieten. Die sinnvollen sollten von den Krankenkassen erstattet und die anderen gestrichen werden. Diese Leistungen Schaden im Durchschnitt mehr als sie helfen und kosten viel Geld.
Durchaus hinterlistig, aber auch elegant gab man sich bei der „Beratung“ der Patienten einen seriösen Anstrich. Der „Igel-Monitor“, dahinter steckt der „Medizinische Bund“, also ein von den Ländern alimentiertes „Expertengremium“, wurde schnell zum Pranger ärztlicher Geldgier und die Verbraucherzentralen als willfährige Mietmäuler, wurden nicht müde, die PSA-Messung zu brandmarken - das hatte Wirkung beim Mann, wir mussten uns den Mund fusselig reden, um Männer zum PSA-Test zu bewegen.

Wir Urologen (aber auch die Kassen) wussten es aber schon lange besser. Spätestens 2016 war bekannt, dass der PCLO-Trial aus dem Jahr 2009, Grundlage der Kassenaussage, dass PSA-Screening das Männerleben nicht verlängere, höflich formuliert auf Grund fehlerhafter Auswertung, nicht verwertbar war.

Hingegen hatte eine ERSPC-Studie aus 2016 einen Überlebensvorteil von 20% für gescreente Männer zweifelfrei belegt. Das aber hat die Kassen keineswegs bewogen ihr Geschäftsmodell „Ertragssteigerung durch Vorenthaltung sinnvoller PSA-Diagnostik“ endlich zu beerdigen, sondern man hat munter weiter die Kollateralschäden zu spät erkannter Prostatakarzinome, und damit den unnötigen und frühen Tod von Männern billigend in Kauf genommen.
Betrachtet man zum Beispiel das Motto der Barmer: Ihre Krankenkasse für ein gesünderes Leben, dann kommen auch hochpotente Antiemetika, ob dieser Bigotterie, an die Grenzen ihrer Wirksamkeit.

Endlich zeigen die aktuellen Erkenntnisse von Probase und die einer Metaanalyse, veröffentlicht in der European Urology Oncology, dass sofort Schluss sein muss, die Sinnhaftigkeit der PSA-Messung weiter in Zweifel zu ziehen – es bedarf des zwingenden Umdenkens bei allen Beteiligten. Sogar der (noch) amtierende Gesundheitsminister hatte in dieser Sache einen seltenen hellen Moment, indem er gegenüber dem ZDF äußerte: Die wissenschaftliche Grundlage für ein Prostatascreening gerade mit dem PSA-Marker ist sehr stark und überwältigend. Und daher könnte ich mir gut vorstellen, dass sich da jetzt etwas bewegt.
Das smarte Konzept der DGU: „Risikoadaptierte Prostatakrebs-Früherkennung 2.0“ wird hoffentlich bald zum Wohle unserer Männer Einzug in die Regelversorgung halten, allerdings muss sich nicht nur die Vergütung an der komplexen Interpretation der Befunde und der anspruchsvollen Beratung des Mannes orientieren, sondern es ist auch zu fordern, dass es eine an das Fach Urologie gebundene Leistungseinheit wird.
Die Zeiten, in denen der Nicht-Urologe, mehr oder weniger sinnstiftend, im Rektum des armen Mannes nach der Prostata sucht, und die Interpretation des PSA-Wertes darin besteht, den Ist- Wert mit dem vorgegebenen Normkorridor des befundenden Labors abzugleichen, gehören endgültig in die ärztliche Mottenkiste. Der unbestrittene Vorteil des PSA-Tests sollte uns Urologen jetzt aber nicht verleiten, auch wenn die neueste Leitlinie für die DRE eine „kann-Empfehlung“ ausspricht, die Tastuntersuchung der Prostata als obsolet anzusehen. Sie ist immer noch, den kundigen Finger vorausgesetzt, ein unverzichtbares Instrument, um die ganz fiesen Karzinome zu erkennen, die gar nicht daran denken, ihre bösen Absichten durch PSA-Bildung zu demaskieren.

Der Preis für die Rehabilitation von uns Beutelschneidern wird aber weh tun.
Wir werden in absehbarer Zeit die dickste Cash-Cow des niedergelassenen Urologen, das „Igel-PSA“, verlieren, und auf diese nicht unerheblichen Einnahmen verzichten müssen. Das mag auf den ersten Blick bitter erscheinen, aber nehmen wir es sportlich und sehen es als unternehmerische Herausforderung, neue Ertragsfelder zu suchen.

Herzlichst

Holger Uhthoff