Die Uro-Kolumne 08/2024

Autor: |Veröffentlicht am 19. September 2024|Aktualisiert am 19. September 2024

Er ist nicht weit, der Tellerrand…

20.08.2024. Zeitweise beschleichen mich globale Gedanken, in denen sich Wünsche mit Erfahrungen verbinden: Auf mehreren kleinen Inseln im bolivianischen Titicaca-See leben die Uros (spanisch, in der Landessprache Chipaya „Urus“ ), eine indigene Gruppe von etwa 2000 Einwohnern auf 3810 Meter Höhe, nur per Boot erreichbar - ziemlich dezentral also und somit von fast allen schädlichen Exzessen der Zivilsation unverdorben.

Die Uros leben von der Fischerei, z. B. von Andenkärpflingen (Orestias) und Schmerlenwelsen der Gattung Trichomycterus. Zusätzliche Einnahmequellen sind der Verkauf von bunten Decken an die Touristen und die Trinkgelder der Fotografen. Die Wurzeln der Totora-Pflanzen dienen als Baumaterial schwimmender Unterkünfte wie auch als Nahrungsmittel und sind reich an Jod.

Obwohl etymologisch eher zufällig, fällt doch die Wortgleichheit zu den Angehörigen unserer Fachgruppe ins Auge und lockt zur Betrachtung eventueller Analogien.

Gemeinsam sind uns die zahlenmäßige Exklusivität und der damit verbundene eher verschwindend geringe Einfluß auf die Weltläufe bzw. die  beruflichen Weichen im Konzert der Ärztinnen und Ärzte.

Ein wesentlicher Unterschied besteht in der weitgehenden Unabhängigkeit in Lebensweise und Existenzsicherung – Fischfang, Deckenverkauf und Trinkgelder unterliegen kaum einer orgiastischen Steuerraubritterei, Überregulierung durch bürokratische Monstren oder selbstverliebter Fremdbestimmung durch beruflich eher erfolglose ärztliche FunktionärInnen. Es lockt die Selbständigkeit in Reinkultur – was ich leiste oder produziere, dient einfach der Existenzsicherung meiner Familie und der persönlichen Zufriedenheit.

Obschon abseits statistischer Validität, durfte ich mich anläßlich eines Besuches im Rahmen meines globetrottären Hobbies überzeugen, daß diese Zufriedenheit der Uros in Bolivien derer unserer überzivilisierten “Uros”um Welten überlegen ist. Dazu genügte ein Blick in die strahlenden Gesichter, ohne auch nur ein Wort Chipaya zu beherrschen – vice versa genügt ein Blick in unsere berufspolitischen Gazetten, um die kollektive Unzufriedenheit aufzusaugen. Ach ja, noch etwas: dort gibt es keinen künstlich erzeugten Gegensatz zwischen Arbeit und Leben (wer unbedingt will, “Work and Life”): dort ist Arbeit = Leben und Leben = Arbeit. Ich finde das sehr verlockend und konsequent, weil wir uns quälen, die sogenannte Freizeit mit unsinnigen Körperbewegungen im “Gym” oder chipsfressend vor der Glotze zu verschwenden.

Die Arbeitszeit fokussieren wir zudem mit hoher Energie darauf, alten, weißen Männern mit virtuosen Operationstechniken und/oder vergleichsweise kaum faßbaren Kosten von 60.000 – 100.000 € p.a. für eine Flut von -umabs und -tinibs die letzten paar Jahre ihres Lebens marginal zu verlängern anstatt ebensolche andrologischen Bemühungen am Beginn  der Skala aufzuwenden, den Nachwuchs für unsere Zukunft zu sichern, ohne natürlich einer Triagierung das Wort zu reden.

Da gibt’s eine Lösung: wir entsenden ein doppelpromoviertes, mit Habilitation dekoriertes, ehrenwertes Mitglied unserer Gesellschaft mit vollen Bezügen zum Aufbau eines Gesundheitswesens an den Titicaca-See, statt weiterhin klaglos zu ertragen, daß es, von seinem Sozialneid auf fleissige und erfolgreiche KollegInnen zerfressen, weiterhin eine gesamte Berufsgruppe in Geiselhaft nimmt.

Schauen Sie über den Tellerrand und bleiben Sie optimistisch!

Herzlich

Ihr

Wolfgang Bühmann