Die DGU Kolumne 01/2020

Autor: |Veröffentlicht am 20. Februar 2020|Aktualisiert am 21. März 2024

Pflege – warum wollen wir sie nicht?

20.01.2020. Süß, schwer und betörend entfaltet sich der auch 99 Jahre nach seiner Komposition immer noch einmalig erotisierende Duft von Coco Chanels legendärer Creation No. 5 im gesamten Schlafzimmer, besonders intensiv über den Radialis- und Carotis-Pulsen der jungen Ehefrau, die damit ihren Mann unterstützend ermuntert, sie freudig und einvernehmlich zu schwängern. Zehn Monde später fristet der teure Flacon ein vereinsamtes Dasein im Badezimmerschrank und fragt sich, warum ihm das Babyöl nebenan ständig vorgezogen wird. Beide Eltern ergötzen sich nunmehr deutlich mehr am durchaus gewöhnungsbedürftigen, weniger erotisierenden Fleur der Exkremente und freuen sich über das schräge, zahnlose Lächeln ihres Neugeborenen, wenn glänzender Po, frische Windel und das Bäuerchen nach ausgiebiger Brustmahlzeit maximale Zufriedenheit signalisieren – sie pflegen es voller Liebe und Hingabe. Achtzig Jahre und mehr, also rund 1000 Monde, später, wenn der Lebenskreis sich zu schließen beginnt, die Kräfte schwinden und das Gehirn in Demenz Ruhe findet, wenden sich die Kinder dieses Babys angesichts des wieder zahnlosen Lächelns, der Sprachlosigkeit und dem genauso duftenden Stuhl in der - wenn auch deutlich größeren - Windel eher angewidert ab und überantworten die Pflege einer pro Tag im Acht- bis Sechzehn-Minuten-Takt „kümmernden“ fremden Person – nicht ohne Meckerei über die paar Kröten, die sie zuzahlen müssen, weil die Pflegeversicherung pleite ist und sie “Wichtigeres“ zu tun haben.

Was ist inzwischen passiert? Das ehemalige Baby hat seine eigenen Kinder zig Jahre ins Leben begleitet, für sie gearbeitet und ihnen bereits vor seinem Ableben ein Haus überschrieben. Ist das ein Grund, dem Baby im Alter ihre pflegende Hilfe zu versagen? Offensichtlich: der über Jahrhunderte geübte und bewährte Generationenvertrag ist längst gekündigt, weil das „Ego“ die Gesellschaft flächendeckend vergiftet hat.

Babys brauchen Pflege, Kranke brauchen Pflege, Alte brauchen Pflege – alle brauchen Pflege. Warum ist unsere Gesellschaft so krank im Kopf, den Menschen, die diese Berufe freiwillig ergreifen, anständige Bedingungen für ihre Arbeit zu verweigern? Warum wird es geduldet, dass Klinikkonzerne sie zum Mindestlohn ausbeuten bei noch dazu ständiger Arbeitsverdichtung? Warum müssen Schwestern auf einer Krankenhausstation nachts 42 Kranke alleine versorgen (Quelle: Eigenerfahrung)?  Warum tolerieren wir die schlechteste Arbeits-Lebens-Balance aller Berufe ausgerechnet bei denen, die wir am Nötigsten brauchen?

Die Dornenkrone der Defizite markieren die Intensivstationen: in 75 % der Abteilungen in Deutschland sind Bettensperrungen an der Tagesordnung, ein Drittel der Pflegekräfte will seinen Beruf innerhalb von 5 Jahren aufgeben, 68% sind wegen der Arbeitsbelastung, des wachsenden Zeitdrucks, schlechter Personalschlüssel und der Ökonomisierung der Kliniken unzufrieden (Quelle: Dt. Ärzteblatt Juni 2019). Noch eins obendrauf: Mit jedem weiteren Patienten, den eine Pflegekraft versorgen muss, steigt die postoperative 30-Tage-Mortalität um 7% (Quelle: Center for Healthcare Outcomes and Policy Research, University of Pennsylvania, 2018). Rechnen wir das einmal auf zwei oder drei Schwestern hoch, weicht akut die Farbe aus dem Gesicht.

Wir gefährden unsere Patienten und betrügen uns selbst, wenn wir immer mehr Spitzenmedizin entwickeln, diese jedoch aufgrund fehlender Pflege nicht umsetzen können.

Nein, Jens Spahn, es fehlen nicht 13.000, sondern 130.000 Pflegekräfte in Deutschland. Was tut unser ADHS -19/19*-Minister? Er düst aktionistisch - populistisch mit dem Regierungs-Airbus klimafeindlich um die Welt und bettelt in Ländern, denen es schlechter geht als uns, ihre Pflegekräfte nach Deutschland zu exportieren, weil sie angeblich selbst keine brauchen, da ihre Menschen deutlich früher sterben. Und Black-Zero-Olaf, der neurotische Finanzminister mit der Empathie einer Anstaltspackung Barbiturate, dem man wahrscheinlich als Kind mal sein Sparschwein geklaut hat, ergötzt sich daran, dass das alles ohne neue Schulden gehen soll. Beide denken nur – natürlich – an sich. Jens gehört ins Erziehungsheim, Olaf wegen seines weiter fortgeschrittenen Lebensstadiums in die Forensische Psychiatrie. Warum? Weil sie beide sich durch individuellen Größenwahn am Volk versündigen.

(*“ADHS-19/19“, weil er ein Aufmerksamkeitsdefizit für die wirklichen Probleme in seinem Ressort hat und weil er hyperaktiv in 19 Monaten 19 Gesetze auf den Weg gebracht hat, ohne über deren Sinn nachzudenken.)

Damit Sie mich nicht ausschließlich als sozialphilosopisch blökenden Widder wahrnehmen, hier etwas langweiliges Detailfutter:  je nach Quelle (zwischen Politik und Diakonie) fehlen in Krankenhäusern 60.000 bis100.000 Pflegekräfte, in der Altenpflege 30.000 bis 60.000. Wenn wir unzulässig, jedoch anschaulich, grob vereinfachen und mitteln, landen wir bei 80.000 + 45.000 = 125.000. Bei Durchschnittsbrutto-Löhnen von monatlich 2.500 € - in privaten Häusern 25% weniger = 1850 €, warum eigentlich? – landen wir bei 2.200 €. Mithin benötigen wir für 125.000 x 2.200 € x12 = 3,3 Milliarden € pro Jahr. Legen wir nochmal 12 Milliarden drauf, um die derzeit arbeitenden PflegerInnen und die zukünftigen anständig zu bezahlen, liegen wir bei rund 15 Milliarden.

Bei 360 Milliarden im Bundeshaushalt und 365 Milliarden im GKV-System = 735 Milliarden pro Jahr sind das gerade 2,04 % Aufwand für eine auskömmlich finanzierte Pflege – nicht mehr als eine „Peanut“ (Zitat Hilmar Kopper, Ex-Chef der Deutschen Bank). Wer erfrecht sich, diese Ausgabe zu verweigern, ohne sich in Grund und Boden zu schämen? Wofür sollen wir denn die Kohle sinnvoller ausgeben als für das Wichtigste in einer menschlich intakten Gesellschaft?

Locker am Biertisch fallen mir zudem einige Möglichkeiten ein, die 15 Milliarden sogar „kostenneutral“ zu generieren,  indem wir weniger Euronen für todbringende und/oder defekte Waffensysteme, sinnfrei aufgeblasene Parlamente, Ausbau einer längst überholten Verkehrsinfrastruktur, überflüssige Weiterfinanzierung fossiler Energien, Verschwendung nationaler wie internationaler Subventionen und so weiter, verschleudern.

Die Bundesrepublik hat im letzten Jahr 70 Milliarden für die Pensionen ihrer BeamtInnen und 100 Millionen für den Ruhestand ihrer ParlamentarierInnen/MinisterInnen aufgewendet (Quelle: Statistisches Bundesamt).  Warum, liebe BeamtInnen und ParlamentarierInnen, liebe MinisterInnen, ziele ich jetzt auch noch zwischen Ihre Augen, obwohl ich Ihnen ganz ehrlich eine auskömmliche Alimentierung Ihres Ruhestandes gönne? Nun, Sie sind ganz überwiegend in Behörden und Parlamenten die Entscheider über unser Aller soziales Wohl im Leben. Auch Sie möchten zum „guten“ Leben bei Bedarf eine stabile pflegende Begleitung. 735 Milliarden, 2,04%, 70,1 Milliarden, 15 Milliarden… - ja, ich vergleiche Äpfel mit Birnen, Bananen und Kirschen. Verzeihen Sie mir, wenn ich mich verrechnen sollte in diesem Obstsalat – für mein schlichtes Hirn ist der Vergleich dieser Dimensionen dennoch eine willkommene Hilfsgrösse, daraus konkrete Handlungsempfehlungen zu pürieren.

Öffnen Sie mithin die von uns prall gefüllte Portokasse, nehmen Sie eine 15-Milliarden-Marke heraus und frankieren Sie damit einen Brief mit der Adresse „Gute Pflege“ – ja, so einfach ist das! Wenn Sie keinen Entnahmebeleg schreiben, merkt das noch nicht einmal der gestrenge Erbsenzähler Olaf S.

Und dann? Ja, wir müssen ausbilden – allerdings braucht eine Krankenschwester minimal sechs Jahre, bis sie eigenverantwortlich eine Station begleiten kann. Ja, wir benötigen Hilfe aus anderen Ländern – bitte jedoch nur dort sozialverträglich. Warum, Herr Spahn, fragen Sie nicht einmal die Zigtausend  KrankenschwesterInnen und AltenpflegerInnen in Deutschland, die aus Gründen der Frustration, Resignation und körperlichen wie seelischen Überlastung respektive Ausnutzung oder zugunsten der Kindererziehung ihren Beruf verlassen haben, mit einem neuen, anständigen Angebot an Lohn und Arbeitsbedingungen, ob sie wieder einsteigen möchten?

Ich wette ein Sixpack feinen Champagners darauf, dass wir in kurzer Zeit das Problem gelöst haben würden. Wenn Sie dann noch den Privatklinik-Piraten Sklaven-Löhne verbieten, werden sich auch dort die Patienten gut versorgt fühlen, weil sich genügend Schwestern mit zufriedenerem Gesicht neben Fiebermessen und Stuhlentsorgung einmal eine kleine Zeit an ihr Bett setzen können und wollen, um ihnen einfach gutzutun, sie zu „pflegen“.

Warum, lieber Herr Scholz, heben Sie Ihren zwanghaft verformten Glutaeus nicht von der „schwarzen Null“, wenn es um elementare und existentielle Bedürfnisse des Volkes geht, das Sie angeblich als Kassenwart vertreten? Nur, weil dieses Volk durch seine Steuern Ihnen ermöglicht, mit Ihrer fünfstelligen Pension Ihren Lebensabend in einer Nobel-Senioren-Residenz mit unverbaubarem Elbblick, Lift zum beheizten Dach-Pool, sonntäglichem Tanztee und Chauffeur vor der Tür genießen zu können? Die Antwort lasse ich – in demütiger Zurückhaltung - bewusst offen.

Beenden wir diesen „Spahn-Sinn“ und „Scholz-Bolz“ – erinnern wir unsere politische „Klasse“ solange mit Shitstorms von Briefen, E-Mails, verbalen und nonverbalen Pfiffen, bis ihre sämtlichen Kommunikationskanäle so blockiert sind, dass sie sich ihrer Uraufgabe besinnen: dem Zuhören und Umsetzen der Anliegen ihrer souveränen Auftraggeber – der Babys, Kranken und Alten, also der Schwächsten, und auch der Gesunden, damit unser Land und seine Gesellschaft endlich wieder sozial und human werden – Menschen sollten für Menschen da sein; alles andere ist überflüssige Garnitur. Vergessen Sie nicht, liebe „EntscheiderInnen“, dass Sie Diener – nicht Herren – des Volkes sind.

Zum Jahresbeginn wünsche ich uns Allen genügend Kraft und Willen zum zivilen „Ungehorsam“ für die, die am ehesten unserer Hilfe bedürfen, und die, die bereit sind, diese Hilfe zu leisten.

Herzlich
Ihr

Wolfgang Bühmann