S3 Leitlinie Nierenzellkarzinom 2015

Kapitel 7: Systemtherapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms

Autor: Redaktion|Veröffentlicht am 23. September 2016|Aktualisiert am 21. März 2024

Kapitel 7.9: Beginn, Dauer und Wechsel der Therapie

Beginn, Dauer und Wechsel der systemischen Therapie beim metastasierten Nierenzellkarzinom

7.13 Konsensbasierte Empfehlung
EKDie Auswahl der systemischen Therapie sollte individuell anhand der zu erwartenden Effektivität, des Toxizitätsspektrums und der Komorbidität des Patienten erfolgen Konsens
7.14 Konsensbasierte Empfehlung
EKBei tumorbedingter Symptomatik oder schlechter Prognose soll die Behandlung zeitnah beginnen Konsens
7.15 Konsensbasierte Empfehlung
EKBei asymptomatischen Patienten mit günstiger oder intermediärer Prognose sollte die zielgerichtete Therapie erst bei nachgewiesenem Progress und fehlender lokaler Therapieoption eingeleitet werden. Konsens
7.16 Konsensbasierte Empfehlung
EKDie Therapie sollte bis zum Progress oder Intoleranz bei adäquater supportiver Therapie erfolgen Konsens
7.17 Konsensbasierte Empfehlung
EKEin Wechsel der laufenden Therapie sollte erst nach dokumentiertem deutlichen Progress bei fehlender lokaler Therapiemöglichkeit oder nicht tolerablen nebenwirkungen erfolgen. Konsens
7.18 Konsensbasierte Empfehlung
EKUnter einer laufenden Therapie sollte eine Schnittbildgebung alle 6 bis 12 Wochen durchgeführt werden. Konsens

Hintergrund 7.14

Die Auswahl der medikamentösen Therapie bei unbehandelten Patienten erfolgt vorrangig nach dem Risikoprofil. Im Fall von Behandlungsalternativen spielt das unter-schiedliche Verträglichkeitsprofil in der Therapieauswahl durchaus eine Rolle. Basierend auf der Behandlungssituation sowie den Komorbiditäten und Präferenzen des Patienten ist eine möglichst individuelle Therapieauswahl zu treffen.

Hintergrund 7.15

Die Einschätzung der Prognose des Patienten kann vor Beginn der Therapie nach den IMDC-Kriterien (siehe Kapitel 7.5.) erfolgen. Patienten einer ungünstigen Prognosegruppe sollen wegen der rasch zu erwartenden Tumorausbreitung und Verschlechterung des Allgemeinzustandes möglichst bald einer Therapie zugeführt werden. Insbesondere bei Vorliegen von tumorbedingter Symptomatik soll zur Palliation eine zeitnahe Behandlung erfolgen. In beiden Fällen ist eine nachgewiesene Progression der Erkrankung vor Einleitung der Therapie nicht erforderlich.

Hintergrund 7.16

Das Wachstum und die Ausbreitung von Nierenzellkarzinomen variiert enorm. Neben Phasen der Stabilisierung sind in seltenen Einzelfällen Spontanremissionen berichtet worden [349, 350]. In den meisten Studien wird deshalb vor Einschluss der Patienten auch der Progress der Erkrankung gefordert. Hierdurch soll die Notwendigkeit der Systemtherapie vor dem Hintergrund einer fortschreitenden Erkrankung validiert werden. Damit liegen faktisch fast ausschließlich Daten zur medikamentösen Therapie von progredienten Tumoren vor. Ob Patienten mit indolenten Tumoren im gleichen Maße von der Behandlung profitieren, ist unklar.

Wegen des raschen Fortschreitens der Erkrankung bei Patienten mit ungünstigem Risiko oder symptomatischen Patienten, kommen damit nur Patienten mit einer günstigen oder intermediären Prognose für eine Verlaufskontrolle infrage. Vor dem Beginn einer medikamentösen Therapie sollte deshalb die Tumorprogression nachgewiesen werden. 

Hintergrund 7.17

Die Toxizitätsraten der zur Verfügung stehenden medikamentösen Therapien sind enorm. Unter Pazopanib oder Sunitinib finden sich unerwünschte Ereignisse in 100 % bzw. 99 %, unter Bevacizumab/IFN sind es 97 % [287, 302]. Insofern kommt der Bedeutung der Supportivbehandlung im Therapiemanagement eine bedeutende Rolle zu, um damit die Fortsetzung der Behandlung zu ermöglichen.

Hintergrund 7.18

Unter der medikamentösen Behandlung des Nierenzellkarzinoms kann es zu diskonkordantem Ansprechen kommen. Dieses basiert auf der intratumoralen genetischen Heterogenität des Nierenzellkarzinoms [351]. Basierend auf diesem Modell kann es unter der Therapie zur klonalen Expansion kommen, was zu einem diskonkordanten Tumoransprechen führen kann. In solchen Fällen kann eine Lokaltherapie sinnvoll sein. Prospektive Daten zur klinischen Relevanz der Lokaltherapie bei isoliertem Progress liegen jedoch nicht vor. 

Für den Wechsel der Therapie sollte neben der Beurteilung der Tumorkontrolle auch die Verträglichkeit mit einbezogen werden. Bei langsam schleichendem Verlauf und guter Verträglichkeit kann es sinnvoll sein, die Therapie weiter fortzuführen, wenn ein klinischer Benefit für den Patienten durch die Therapie entsteht. Die Behandlung über die Progression hinaus ist unter diesen Bedingungen auch in der Zulassungsstudie von Sunitinib Bestandteil des Protokolls gewesen und ist damit entsprechend evaluiert [285].

Kontrollbildgebung unter Therapie

Unter einer laufenden Systemtherapie ist eine Verlaufskontrolle zur Erfassung des Tumoransprechens notwendig. Prospektive Daten zur Untersuchung des optimalen Zeitpunkts der Kontrolluntersuchung sind nicht bekannt. In den Studien zur Erstlinientherapie wurden Intervalle von 4-12 Wochen verwendet [285-287, 302]. Basierend auf den Erfahrungen aus diesen Studien sollte unter einer Systemtherapie eine Schnittbildgebung alle 6-12 Wochen zur Verlaufsbeurteilung erfolgen.

Therapiefortsetzung bei stabilen Patienten

7.19 Evidenzbasiertes Statement
Level of Evidence 2+Der Einfluss einer Therapiepause auf die Prognose kann derziet nicht beurteilt werden. Literatur: [330, 352-354] Konsens
7.20 Konsensbasiertes Statement
EKWenn der Patient eine Therapiepause wünscht, soll er über die Konsequenzen und die Notwendigkeit einer engmaschigen Überwachung aufgeklärt werden. Konsens

Hintergrund

Nach dem gegenwärtig begrenzten Stand der Studienlage erscheinen Therapiepausen bei stabiler Erkrankung unter Targettherapie (TT) möglich. Eine Progression der Er-krankung ist nach einer derzeit nicht prognostizierbaren Zeitspanne bei der Mehrzahl der Patienten wahrscheinlich. Die Re-Exposition der TT zeigt bei fast allen Patienten ein erneutes Ansprechen mit relevantem PFS. Patienten können über die Möglichkeit von Therapiepausen und deren Konsequenzen aufgeklärt werden.

Aufgrund der insgesamt als palliativ zu bewertenden Therapiesituation (limitierte Zahl von kompletten Remissionen) und der relevanten und in der Dauertherapie die Lebensqualität erheblich alterierenden Nebenwirkungen der Targettherapie erscheint die Frage nach Therapiepausen für stabile Patienten als sehr wesentlich.

Für andere Tumorentitäten gibt es inzwischen durchaus relevante Daten zu „Drug-free Intervall“-Strategien (DFIS), die bei erheblicher Verbesserung der Lebensqualität eine nicht signifikante Verschlechterung des OS zeigen konnten.

Grundvoraussetzung für eine Therapiepause ist neben dem vorherigen Erreichen eines stabilen Krankheitsverlaufs eine ausreichende Wirksamkeit des Präparates im Falle der Re-Exposition bei Progression. Hierfür liegen für das Nierenzellkarzinom durchaus relevante Daten vor . Die Wirksamkeit der Re-Exposition konnte in verschiedenen retrospektiven Studien sowohl für Sunitinib als auch für Sorafenib belegt werden .

Daten zur Unterbrechung der Therapie bei Patienten mit stabiler Erkrankung finden sich für das Nierenzellkarzinom aufgrund der begrenzten Zahl kompletter Remissionen nur in geringem Umfang und zumeist retrospektiv. In einer ersten retrospektiven Studie konnten Johannsen et al. eine Gruppe von 12 Patienten nach kompletter Remission unter Sunitinib/Sorafenib +/- Metastasenresektion beschreiben. Bei allen Patienten erfolgte ein Pausieren der Therapie mit Nachbeobachtung. Nach einem medianen Follow-up von 8,5 Monaten blieben 7 Patienten ohne Rezidiv. Bei 5 Patienten zeigte sich ein Rezidiv der Erkrankung, bei 3 dieser Patienten mit neuen Metastasen. Bei allen Patienten zeigte sich unter Re-Exposition ein erneutes Ansprechen auf das Targettherapeutikum. Die gleiche Arbeitsgruppe konnte in einer zweiten retrospektiven Analyse die Daten von 36 Patienten nach verschiedenen Targettherapeutika (Sunitinib, Sorafenib, Bevacizumab und Temsirolimus) vorstellen [355]. Bei 24 Patienten (66,7 %) kam es unter Therapiepause zu einem Rezidiv. Die Re-Exposition zeigte bei 86,9 % der Pati-enten ein erneutes Ansprechen. Bei einem medianen Follow-up von 12 Monaten (3-31 Monate) blieben 12 Patienten ohne Rezidiv. Die mediane Auszeit für die Therapeutika lag bei 7 Monaten (1-31).

Prospektive Daten zu Therapiepausen liefert eine randomisierte Phase-II-Studie zur Sorafenib Therapie. Dabei wurden 202 Patienten in die Studie eingeschlossen. Nach 12 Wochen Therapie zeigten 65 Patienten eine stable disease und wurden in zwei Arme randomisiert. In Arm A erfolgte eine Fortsetzung der Therapie mit Sorafenib, in Arm B die Gabe von Placebo. Das Re-Staging der beiden Therapiearme nach 24 Wochen zeigte in Arm A 50 % der Patienten ohne Progression, in Arm B 18 % der Patienten. 28 dieser Patienten zeigten bei Sorafenib Re-Exposition ein Ansprechen mit einem medianen PFS von 24 Monaten.

Vor diesem Hintergrund ist in Großbritannien die STAR-Studie gestartet worden, die zukünftig Daten zur DFIS unter Sunitinib unter Beachtung von OS, Lebensqualität und QALY liefern wird. Insgesamt sollen 1000 Patienten randomisiert werden. Nach Erreichen der maximalen Response (RECIST) und mindestens 4 Serien Sunitinib erfolgt in Studienarm B eine Therapiepause bis zur radiologisch nachgewiesenen Progression. Diese Therapiepausen können nach weiteren 4 Zyklen Sunitinib und Ansprechen wiederholt werden.