S3 Leitlinie Nierenzellkarzinom 2015

Kapitel 7: Systemtherapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms

Autor: Redaktion|Veröffentlicht am 23. September 2016|Aktualisiert am 21. März 2024

Kapitel 7.5: Zielgerichtete Therapie

Zielgerichtete Therapie des fortgeschrittenen und/oder metastasierten klarzelligen Nierenzellkarzinoms

Erstlinientherapie

7.4 Evidenzbasierte Empfehlung
Empfehlungsgrad ALevel of Evidence 1++Bei Patienten mit fortgeschrittenem und/oder metastasiertem klarzelligen Nierenzellkarzinom und niedrigem oder intermediärem Risiko sollen in der Erstlinientherapie Sunitinib, Pazopanib oder Bevacizumab + INF verwendet werden. Literatur: [285, 287, 302] Konsens
7.5 Evidenzbasierte Empfehlung
Empfehlungsgrad ALevel of Evidence 1++Bei Patienten mit fortgeschrittenem und/oder metastasiertem klarzelligen Nierenzellkarzinom und ungünstigem Risikoprofil soll in der Erstlinientherapie Temsirolimus verwendet werden. Literatur: [286] Konsens

Zweitlinientherapie

7.6 Evidenzbasierte Empfehlung
Empfehlungsgrad ALevel of Evidence 1+In der Zweitlinientherapie nach Sunitinib oder Zytokinen soll Axitinib verwendet werden. Für Axitinib nach Bevacizumab, Pazopanib oder Temsirolimus liegen keine ausreichenden Daten vor. Literatur: [320] Konsens
7.7 Evidenzbasierte Empfehlung
Empfehlungsgrad OLevel of Evidence 1+In der Zweitlinientherapie nach Zytokinen können Sorafenib oder Pazopanib als Alternative zu Axitinib eingesetzt werden. Literatur: [321, 322] Konsens
7.8 Evidenzbasierte Empfehlung
Empfehlungsgrad OLevel of Evidence 2Nach Versagen von mindestens einem VEGF-Inhibitor soll Everolimus eingesetzt werden. Literatur: [323] Konsens
7.9 Evidenzbasierte Empfehlung
Empfehlungsgrad OLevel of Evidence 2Nach Versagen eines mTOR-Inhibitors kann die Folgetherapie mittels eines Tyrosinkinase-Inhibitors (TKI) erfolgen. Literatur: [324] Konsens

Hintergrund

Die Empfehlungen basieren auf einer systematischen Literaturrecherche (Suchdatum: Januar 2013). Für Einzelheiten wird auf den Leitlinienreport und die Evidenzberichte zur Leitlinie verwiesen (siehe 1.8).

Mit der Einführung der zielgerichteten Therapien hat sich die Behandlung des Nierenzellkarzinoms grundlegend geändert. Nach nun fast 10-jähriger klinischer Forschung findet sich eine Reihe von VEGF-Inhibitoren in der Klinik. Lange Zeit hat die Suche nach dem besten VEGFR-TKI die Szene dominiert, was sich in den entsprechenden klinischen Studien widerspiegelt. Der Stellenwert der Substanzen in der Sequenztherapie ist in erster Linie den Zulassungsstudien geschuldet. Einen Überblick über die aktuell verfügbaren TKIs bietet Tabelle 6.

Auch wenn die klassischen Zytokin-basierten Therapien heute nicht mehr zum Einsatz kommen, stellt die hochdosierte intravenöse IL-2-Gabe für Patienten mit oligo-metastatischem Befall und sehr gutem Allgemeinzustand eine alternative Therapieoption in der Erstlinie dar. Diese Therapie ist ausschließlich spezialisierten Zentren vorbehalten und soll nicht von Unerfahrenen eingesetzt werden.

Sorafenib ist der erste zugelassene TKI beim Nierenzellkarzinom. Basierend auf der ersten Studie nach Versagen von Zytokinen oder bei Zytokin-ungeeigneten Patienten, erfolgte eine entsprechende Zulassung. Da bereits frühzeitig eine sequenzielle Therapie des Nierenzellkarzinoms durchgeführt wurde, findet sich Sorafenib als Vergleichssubstanz in verschiedenen Studien wieder.

Spätere Studien untersuchten Sunitinib und Pazopanib in der Erstlinienbehandlung und gelten seit der COMPARZ-Studie als weitgehend gleichwertige Alternativen. Anderweitige direkte Vergleiche fehlen jedoch, sodass es damit mehrere Therapie¬alternativen in der Erstlinie gibt. Neben den TKI gibt es durch positive Phase-III-Studien mit Bevacizu-mab/IFN bzw. Temsirolimus in der Erstlinienbehandlung weitere Behandlungsmöglichkeiten.

Da die Mehrzahl der Studien Patienten mit einem niedrigen bzw. intermediären Risiko einschließt, beziehen sich die Empfehlungen vorwiegend auf dieses Patientenkollektiv. Lediglich für den mTOR-Inhibitor Temsirolimus liegt eine Phase-III-Studie für Patienten mit einem hohen Risikoprofil vor. Die Risikostratifizierung erfolgt anhand eines Prognosescores (siehe Tabelle 8 und Tabelle 9.). Für die TKIs finden sich neben den Zulassungsstudien weitere Quellen, die Patienten mit ungünstigem Risikoprofil einschließen, sodass die Substanzen auch für Patienten mit schlechter Prognose empfohlen werden können.

Bevacizumab weist zwar eine ähnliche Wirksamkeit in der Erstlinie auf, erscheint allerdings in der ungünstigen Subgruppe weniger aktiv, sodass die Substanz unserer Meinung nach bei ungünstigem Risikoprofil nicht eingesetzt werden sollte.

Nach einer Vortherapie mit Sunitinib stehen Axitinib und Everolimus für die Folgetherapie zur Verfügung. Auch hier gilt, dass aufgrund eines fehlenden direkten Vergleichs keine Priorisierung der Therapiewahl erfolgen kann, sodass beide Substanzen als Optionen in der Folgetherapie zugelassen sind. Da die Zulassungsstudie für Everolimus mehr als eine Vortherapie erlaubte, wird die Substanz generell nach Versagen der VEGF-Inhibition empfohlen, wohingegen der Einsatz von Axitinib auf die Zweitlinie be-schränkt bleibt. Beide Substanzen stellen damit probate Optionen für vorbehandelte Patienten dar. Einschränkungen für den Einsatz ergeben sich aus der Zulassung. So ist Axitinib lediglich nach einer Vorbehandlung mit Sunitinib oder Zytokinen zugelassen. Everolimus hingegen ist nur auf eine Vorbehandlung mit einem VEGF-Inhibitor be-schränkt.

Das signifikant verbesserte progressionsfreie Überleben (progression-free survival, PFS) für Axitinib vs. Sorafenib in der AXIS-Studie (6,7 vs. 4,7 Monate; HR 0,665) konnte zwar keine Verbesserung für das Gesamtüberleben erzielen (20,1 vs. 19,2 Monate; HR 0,97), die Ergebnisse sind allerdings konsistent mit einer Netzwerkanalyse (verbessertes PFS: HR 0,67) und unterstützen damit die Empfehlung für Axitinib in dieser Therapiesituation (siehe Evidenzbericht zur Leitlinie unter leitlinienprogramm-onkologie.de/Nierenzellkarzinom.85.0.html ). Die Qualität der Evidenz, dass Axitinib und Sorafenib ein ähnliches Gesamtüberleben erzielen, ist moderat. Die Qualität der Evidenz, dass Axitinib zu einem längeren PFS bei ähnlicher Lebensqualität führt, ist niedrig (siehe Evidenzbericht zur Leitlinie unter leitlinienprogramm-onkologie.de/Nierenzellkarzinom.85.0.html).

Der Einsatz von Zytokinen in der Erstlinientherapie findet praktisch nicht mehr statt. Historisch gibt es jedoch eine gute Datenlage für Axitinib, Pazopanib und Sorafenib für dieses Patientenkollektiv. Im direkten Vergleich von Axitinib und Sorafenib zeigte sich sowohl dieser Patientenkohorte als auch im Gesamtkollektiv ein signifikanter PFS-Vorteil für Axitinib.

Die Wahl in der Zweitlinie richtet sich damit nach der in der Erstlinie eingesetzten Substanz. Nach Temsirolimus in der Erstlinie ist formal keine weitere Therapie durch randomisierte kontrollierte Studien gesichert, prinzipiell wird jedoch eine Folgetherapie mit einem VEGFR-TKI empfohlen. Die Beobachtung wird durch die Daten der RECORD-3-Studie unterstützt, die den sequenziellen Einsatz von Sunitinib und Everolimus untersucht hat und Effektivität in der Zweitlinienbehandlung mit Sunitinib aufzeigen konnte [325]. Für Temsirolimus fehlen prospektive Daten.

Mit der GOLD-Studie stehen mittlerweile auch Daten zur Drittlinientherapie zur Verfügung. Die Studie testete Dovitinib und Sorafenib nach Versagen eines mTOR- und eines VEGFR-Inhibitors. Das PFS war mit 3,7 und 3,6 Monaten ähnlich, ein Unter¬schied im Gesamtüberleben konnte nicht generiert werden (11,1 vs. 11,0 Monate) [324]. Diese Daten stützen die Fortsetzung der Tumortherapie mit dem Einsatz eines Tyrosinkinas-einhibitors in der Drittlinie, da die Daten zur fortgesetzten Therapie effektiver erscheinen als in der Placebo-Kontrolle der RECORD-1-Studie (nach VEGF-Versagen: 1,9 Mona-te) [323].

PräparatAnwendungsgebiet
Axitinib Zweitlinie nach Sunitinib oder Zytokinen
Bevacizumab Erstlinie
Pazopanib Erstlinie oder nach Zytokinen
Sorafenib Nach Zytokinen
Sunitinib Erstlinie

Tabelle 6: VEGF-Inhibitoren

PräparatAnwendungsgebiet
Everolimus nach VEGF Versagen
Temsirolimus Erstlinie, ungünstiges Risikoprofil

Tabelle 7: mTOR-Inhibitoren