S3 Leitlinie Nierenzellkarzinom 2015

Kapitel 12: Rehabilitation und Nachsorge

Autor: |Veröffentlicht am 27. September 2016|Aktualisiert am 21. März 2024

Kapitel 12.1: Rehabilitation nach Akuttherapie

12.1 Konsensbasierte Empfehlung
EK  Allen Patienten soll nach lokaler Therapie eines Nierenzellkarzinoms eine fachspezifische Rehabilitation in Form einer Anschlussheilbehandlung (AHB) oder Anschlußrehabilitation (ARH, AR) angeboten werden.

Konsens

12.2 Konsensbasierte Empfehlung
EK  Bei fortbestehenden Beschwerden sollen die Patienten über weitere Rehabilitationsmaßnahmen aufgeklärt werden.

Konsens

12.3 Konsensbasierte Empfehlung
EK  Auch Patienten mit systemischer Erkrankung können von der fachspezifischen Rehabilitation profitieren.

Mehrheitliche Zustimmung

12.4 Konsensbasiertes Statement
EK  Die Rehabilitation sollte entsprechend der Komorbidität der Patienten multidisziplinär und mit Hilfe multimodaler Therapiekonzepte erfolgen.

Konsens

12.5 Konsensbasierte Empfehlung
EK Patienten mit Nierenzellkarzinom soll im Zuge einer Rehabilitationsmaßnahme eine psychoonkologische Betreuung zur Unterstützung der Krankheitsverarbeitung sowie eine sozialmediinische Beratung angeboten werden

Konsens

12.6 Konsensbasierte Empfehlung
EK  Lokal begrenzte Tumoren im klinischen Stadium T1 sollen nierenerhaltend operiert werden.

Konsens


Hintergrund

Einleitung

Allgemein gültige Aspekte der fachspezifischen urologischen Rehabilitation wurden aus der interdisziplinären Leitlinie der Qualität S3 zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms übernommen [510].
Zielsetzung der Rehabilitation

Ziel der AHB/AR ist die schnelle soziale Reintegration des Patienten in das Alltags- und Berufsleben. Ziel der medizinischen Rehabilitation ist der Erhalt bzw. die Wieder-herstellung der Arbeitsfähigkeit, des selbstbestimmten Alltagslebens und der Teilhabe. Am Anfang jeder AHB bzw. medizinischen Rehabilitation steht die partizipative Festlegung realistischer Rehabilitationsziele für den Patienten. Das Erreichen der Reha-Ziele gelingt zum einen durch Verbesserung bzw. Beseitigung der spezifischen post-operativen oder chronischen Beschwerden und Funktionsdefizite (z. B. Schmerzen), zum anderen durch Steigerung der körperlichen Fitness und Belastbarkeit sowie durch Stärkung und Stabilisierung des durch die uroonkologische Erkrankung möglicherweise alterierten psychischen Zustandes. Darüber hinaus sollen ungünstige Verhaltensweisen der Patienten erkannt und diese durch gezielte Schulungen zur Verhaltensänderung angeregt werden. Eine Sozialberatung hilft, Alltagsprobleme nach der The-rapie besser zu lösen und erläutert relevante rechtliche Inhalte.

Die Zielsetzung der Rehabilitation lässt sich wie folgt zusammenfassen:
• Diagnostik relevanter Störungen nach Therapie wie z. B. Operationsfolgen oder Chemotherapie-bedingte Nebenwirkungen
• Therapie posttherapeutischer Funktionsstörungen wie z. B. Schmerzen oder operationsbedingter temporärer bzw. dauerhafter neuromuskulärer Störun-gen
• Bewältigung körperlicher und psychischer Folgestörungen (Coping)
• Wiederherstellung der physischen und psychischen Leistungsfähigkeit
• Verhaltensänderung (Verringerung der Risikofaktoren für eine Niereninsuf-fizienz)
• Diagnostik und Therapie von Spätkomplikationen
• Wiederbefähigung zur Teilhabe am normalen gesellschaftlichen Leben und, soweit der Patient noch im Berufsleben steht, Erhalt oder Wiederherstellung der Erwerbs¬fähigkeit
• Beratung zu sozialer Unterstützung


Diagnostik in der Rehabilitation

Es erfolgt - sofern nicht bereits vorhanden - eine laborchemische Beurteilung des Blutbilds und der Nieren- und Leberfunktion. Dabei ist insbesondere auch auf Stoffwechselentgleisungen (Acidose) bei Niereninsuffienz zu achten. Eine begleitende Harnwegsinfektion wird durch Urinuntersuchung ausgeschlossen. Sonographisch lassen sich die verbliebene und ggf. die operierte Niere ebenso wie die Nierenloge nach Nephrektomie sowie akut zu therapierende Spätkomplikationen wie Gefäßverletzungen mit Nachblutung, Infektionen wie z. B. ein Abszess, Aszites oder Pleuraergüsse beurteilen. Eine Uroflowmetrie und eine Restharnmessung lassen eine subvesikale Obstruktion nach perioperativer Katheterableitung erkennen. Nach bzw. während der Chemotherapie er-folgt eine kardiale Kontrolle mit EKG und Echokardiographie.

Therapie posttherapeutischer Funktionsstörungen

Eine Bewertung der Schmerzen sollte bei allen betroffenen Rehabilitanden anhand einer 10-stufigen numerischen Ratingskala bei Aufnahme und vor Entlassung erfolgen. Wesentliche Schmerzen an der Wunde bzw. Narbe (in Ruhe, bei Bewegung, beim Sit-zen) liegen nach Abschluss der Rehabilitation bei operierten Patienten meist nicht mehr vor. Persistierende relevante Schmerzen nach einem ausreichend langen Behandlungszeitraum bedürfen eines multimodalen Therapiekonzepts.

Bei Flankenschnitten tritt oftmals eine Muskelrelaxation der Bauchwand, d. h. eine Vorwölbung der Muskulatur durch fehlende, da durchtrennte Nervenversorgung auf. Dies ist nicht mit einem Narbenbruch zu verwechseln. Bei dieser Relaxation ist das Training der angrenzenden Muskelgruppen von ganz besonderer Bedeutung, um dem Rumpf wieder genügend Halt zu geben.

Ein körperliches Training verbessert die Blutversorgung im Wundbereich und be-schleunigt so den Abbau von Restblutergüssen oder Schwellungen, so dass eine besse-re Wundheilung erfolgt. Dabei ist auf eine an die aktuelle Phase der Wundstabilisierung angepasste Übungsintensität zu achten.

Lagerungsbedingte Paresen peripherer Nerven wie z. B. eine Peronaeusparese oder die Schädigung des Plexus brachialis (6 % bei roboterassistierten Nierentumor¬operationen) werden in der Reha mit gezielter Physiotherapie und Elektrotherapie (Interferenzstrom oder diadynamischer Strom) behandelt. In der Regel sind sie innerhalb eines Monats bei 59 % der Patienten und nach 1 bis 6 Monaten bei 77 % beseitigt. Bei 23 % persistie-ren die Paresen über ½ Jahr hinaus [616].

Dauerschäden mit stärkerer Beeinträchtigung der Patienten wie z. B. Bauchdeckenhernien oder Bauchdeckenparesen (Muskelrelaxationen) müssen abhängig von der Ausprägung gegebenenfalls operiert oder mit Hilfsmitteln (z. B. Stützmieder oder transkutane Elektrotherapie [TENS]) versorgt werden. Nach Untersuchungen von Gunnarsson et al. 2011 scheinen Stützmieder die Abdominalmuskelfunktion nicht we-sentlich zu beeinträchtigen [617]. Und bei Frischoperierten konnte in einer randomisierten Studie bei medianer Laparotomie durch ein Stützmieder (n=23 mit, n=25 ohne) eine signifikante Reduktion der Schmerzen (visuell analoge Schmerzskala: ca. 1,6 Pkt. vs. 4,2 Pkt. am 5. Tag, p=0,004) bei fehlender Beeinträchtigung von Lungenfunktion, Wundheilung oder des intraabdominalen Drucks erreicht werden [618]. Studien zur Versorgung von Patienten mit chronischen Beschwerden liegen nicht vor.

Nebenwirkungen nach Chemotherapie oder bei Weiterführung der Chemotherapie während der Rehabilitation wie Hauttoxizität, Diarrhoe, Übelkeit und Erbrechen, Ascites, Hypertonus, Fatigue, kardiale Nebenwirkungen, Depression, Mukositis, Pneumonitis, Hypothyreose, Anämie, Niereninsuffizienz und Leberschäden werden adäquat therapiert. Sexuelle Funktionsstörungen treten beim fortgeschrittenen Nierentumor und im Rahmen der Chemotherapie nicht häufiger auf als bei nicht-urogenitalen Tumoren. Jüngere Nierentumorpatienten profitieren eventuell von einer Beratung, dass sie noch sexuell aktiv sein dürfen, um die Isolation durch die fortgeschrittene Krankheit und die Aussicht auf den Tod zu bekämpfen [619].

Körperlicher Aufbau

Zum allgemeinen körperlichen Aufbau (allgemeine Roborierung und Aufschulung der Muskulatur sowie Verbesserung des Allgemeinzustands) kommen je nach Indikation und Leistungsfähigkeit des Patienten zum Einsatz:
• Bewegungstherapie mit Ausrichtung auf Ausdauer, Kraft und/oder Koordi-nation einzeln oder in der Gruppe (z. B. Bewegungsbad, Crosstrainertrai-ning, Ergometertraining liegend/sitzend oder Handkurbelergometer)
• Gerätetraining
• Schwimmen
• Walking/Nordic Walking
• Wassertreten

Ein reduzierter Allgemeinzustand (z. B. durch Therapie und Postaggressionsstoffwechsel) sollte nach der AHB oder Rehabilitation deutlich gebessert sein. Der Muskelaufbau nach großen Eingriffen dauert selbst bei intensivem Training bis zu einem halben Jahr. Durch die intensiven bewegungstherapeutischen Übungen während der Re-habilitation wird dieser Vorgang beschleunigt und der Patient für ein eigenes Training zu Hause geschult und motiviert.


Allgemeine Prophylaxemaßnahmen

Zur Durchführung bzw. Vermittlung von immunstimulierenden und allgemein prophylaktischen bzw. protektiven Maßnahmen kommen zum Einsatz:
• Balneotherapie,
• Wärmepackungen von Schulter und Nacken, Kohlensäurewannenbäder, Wassertreten, Wechselgüsse der Beine (bei Varicosis und/oder Ödemen der Arme),
• Bewegungstherapie (siehe Punkt „körperlicher Aufbau“),
• Ernährungsumstellung (mit pflanzlichen Lektinen angereicherte und in ih-rem Gehalt an tierischen Fetten reduzierte, immunmodulierende Kost, bei männlichen Rehabilitanden Einbezug der Lebenspartner wünschenswert), ausreichende Trinkmenge,
• Vermeiden von Risikofaktorenen (z. B. metabolisches Syndrom, Rauchen, übermäßiger Alkoholgenuss, entsprechende Impfungen nach Splenektomie),
• Umstellung des Sozialverhaltens bei Bedarf (Erreichen einer positiven Stim-mungslage und damit einer Immunstimulation im Sinne der Psychoneuroimmunologie).

Es erfolgt eine Beratung durch Urologen, Nephrologen, Sporttherapeuten, Physio-therapeuten, Ergotherapeuten, Diätassistenten und Psychologen über allgemeine per-sönliche Verhaltensweisen (Risikovermeidung durch entsprechendes Verhalten), Stabilisierung der Nierenfunktion und Hinweise auf ein Rezidiv, ergänzt durch das Erlernen von Entspannungstechniken wie der progressiven Muskelrelaxation nach Jacobson zur Stressbewältigung.
Schulungen zur Optimierung des Trinkverhaltens nach Nieren(teil-)verlust, zur Ernährung bei Darmfunktionsstörungen (Obstipation, Flatulenz etc.) und/oder bei eingeschränkter Nierenfunktion (Kreatininwerte > 2 mg%) und zum persönlichen Sozialverhalten sowie zu dem Erlernen von Entspannungstechniken beschleunigen den Genesungsprozess des Patienten.

Durch die genannten Maßnahmen soll das temporäre Immundefizit nach Operationen oder Chemotherapie behoben bzw. verringert werden. Darüber hinaus soll der Patient befähigt werden im Alltag die Risikofaktoren, insbesondere für eine Niereninsuffizienz, zu vermeiden.


Diagnostik und Therapie postoperativer Spätkomplikationen

Hier kommen z. B. Gefäßverletzungen, Infektionen, Nierenfunktionsstörungen und Stoffwechselentgleisungen (Acidose) bei Niereninsuffizienz in Frage.


Sozialberatung

Im Vordergrund stehen die Einleitung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, Hilfen zur beruflichen Rehabilitation, Fragen zur wirtschaftlichen Sicherung, die Beratung zur Wahrnehmung der Nachsorge und zu Rentenfragen sowie Beratung und Vorträge zu sozialrechtlichen Themen wie z. B. zur Schwerbehinderung.


Somato-psychischer Gesundungsprozess

Der somato-psychische Gesundungsprozess wird durch Bewegungstherapie, physikalische Therapie und psychologische oder psychoonkologische Maßnahmen positiv beeinflusst. Die Erwerbstätigkeit und das übliche Alltagsleben sollen so wesentlich früher wieder aufgenommen werden können. Allgemeines körperliches Training fördert eine positive Einstellung und den Krankheitsverarbeitungsprozess. Dadurch werden neben der Verbesserung des Allgemeinzustandes auch Funktionsdefizite, z. B. erschwertes Aufstehen durch postoperative Schmerzen, verbessert [620]. Die Wahl des Operations-verfahrens ist für die Wiederherstellung der Lebensqualität auf längere Sicht unerheblich [152].

Ein Teil dieser Probleme kann auch im Verlauf bestehen bleiben, so dass dann die Indikation zu einer medizinischen Rehabilitation ein oder zwei Jahre nach Primärtherapie besteht.

Temporäre Nierenfunktionsstörungen sind normalerweise 3-6 Monate postoperativ kompensiert, ansonsten durch vorbestehende Erkrankungen der Restniere als Dauerschädigung zu betrachten.

Zum Ende der Rehabilitation werden die physischen und psychischen Befunde aktualisiert, beurteilt, dem Patienten mitgeteilt und im Reha-Entlassungsbericht den behandelnden Ärzten berichtet [620-622].


Hintergrund Empfehlung 12.1, 12.2 und 12.3

Mit der Entwicklung der Therapieformen beim Nierentumor haben sich auch der Reha-bilitationsbedarf und die Indikationen zur Rehabilitation erweitert. Wegen spezifischer physischer und psychischer Krankheitsfolgen und Nebenwirkungen der operativen und medikamentösen Tumortherapie sollte gemäß Expertenkonsens jedem Patienten unter dem Blick des onkologischen Therapieziels der zeitnahen Rekonvaleszenz mit Wieder-erreichen einer hohen Lebensqualität, der sozialen und beruflichen Teilhabe sowie der umfassenden Krankheitsbewältigung eine fachspezifische urologische Rehabilitation angeboten werden. Eine Nierentumorentfernung - durch komplette oder partielle Nephrektomie, offen chirurgisch oder endoskopisch - stellt einen großen operativen Eingriff dar, der einer Anschlussrehabilitation (AHB/AR) bedarf. Auch aus minimal invasiven Nierentumoroperationen wie der Radiofrequenzablation oder der lokalen Ther-motherapie sowie der Chemotherapie bei Nierentumor kann ein Rehabilitationsbedarf entstehen. Bei fortbestehenden Beschwerden besteht die Möglichkeit weiterer Rehabilitationsmaßnahmen. Dabei muss der Wiederholungsantrag innerhalb eines Jahres nach der Akuttherapie gestellt werden. Auch Patienten mit systemischer Erkrankung können von der fachspezi¬fischen Rehabilitation profitieren. Die Rehabilitationsmaßnahme wird aktuell in der Regel stationär durchgeführt [620, 623].

Im IX. Buch des Sozialgesetzbuches (SGB IX) wird das Recht auf Rehabilitationsleistungen gesetzlich geregelt. Es besteht ein gesetzlicher Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe (§ 4) mit dem Ziel, bestehende oder drohende Behinderung, Einschrän-kung der Erwerbsfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, Verschlimmerung zu verhüten, Folgen zu mildern, andere Sozialleistungen zu vermeiden/zu mindern, die Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gesellschaft zu sichern oder zu erleichtern, die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und eine möglichst selbstständige und selbstbestimmte Lebensführung zu er-möglichen [624].

Neben der urologisch ausgerichteten AHB/AR in zeitlicher Nähe zum akutstationären Aufenthalt können Leistungen zur medizinischen Rehabilitation als onkologische Rehabilitationen erbracht werden (SGB VI, § 31, Satz 1.3) [625]. Diese Leistungen werden in der Regel für längstens drei Wochen bewilligt. Sie können für einen längeren Zeit-raum erbracht werden, wenn dies erforderlich ist, um das Rehabilitationsziel zu errei-chen (SGB VI § 15, Satz 3) [626]. Dem Wunsch- und Wahlrecht der Patienten zur Auswahl einer Reha-Einrichtung wird dabei möglichst Rechnung getragen (SGB IX, § 9) [627].


Hintergrund Empfehlung 12.4

Der Arbeitskreis Rehabilitation urologischer und nephrologischer Erkrankungen der Akademie der Deutschen Urologen hat notwendige strukturelle Voraussetzungen (per-sonelle, räumliche und technische Ausstattung) und Merkmale der Prozessqualität zur Durchführung einer urologischen Rehabilitation formuliert, um die Ergebnisqualität zu sichern [628]. Anhand der Aufnahmebefunde wird ein multimodulares, differenziertes Programm zur Diagnostik und Therapie erstellt, das geeignet ist, krankheits- und therapiebedingte Defizite festzustellen und zu überwinden. Urologische Fachkompetenz ist dabei hinsichtlich diagnostischer und therapeutischer Optionen und Nachbehandlungskonzepte erforderlich, da postinterventionelle Funktionsstörungen und behand-lungsspezifische Komplikationen wie Wundinfektionen, Nachblutungen, Abszesse und Harnverhalt einer unmittelbaren fachärztlichen Diagnostik und Behandlung bedürfen [629].

Da die Primärinformationen zur Krebserkrankung und den therapeutischen Optionen häufig noch im Stadium der akuten Krankheitsmitteilung erfolgen, werden sie oft nur partiell aufgenommen. In der medizinischen Rehabilitation haben Vorträge, Gesprächskreise, Einzelgespräche mit Ärzten, Psychologen und Sozialarbeitern etc. auch die Aufgabe einer Nacharbeitung und Verarbeitung der Informationen im Sinne einer Konsolidierung, Einordnung, Bewertung, Erlebnisverarbeitung und Perspektiven-gewinnung. Gesundheitsbildung und psychoedukative Gesichtspunkte ermöglichen dem Patienten, wieder selbst handelndes Subjekt zu werden. Im Rahmen der Ermutigung zur Partizipation können auch Kontakte zu Selbsthilfegruppen vermittelt werden, mit denen vielfach eine gute Zusammenarbeit besteht.

Hintergrund Empfehlung 12.5

Eine Therapie psychoonkologischer Probleme wie z. B. bei Rezidivängsten, Selbstvorwürfen, Anpassungsstörungen, Schlafstörungen, zwischenmenschlichen Problemen, Stimmungsschwankungen und Konzentrationsstörungen dient zur psychischen Stabilisierung und besseren Verarbeitung der krankheits- und therapiebedingten Problematik. Für weitergehende Informationen und Handlungsempfehlungen wird auf die S3-Leitlinie zur Psychoonkologischen Versorgung von Krebspatienten verwiesen [530].

Eine akute somato-psychische Belastungsreaktion (Depressivität) tritt generell bei ca. 25 % der Tumorpatienten auf, bei Patienten mit einem Nierentumor in mehr als der Hälfte der Fälle [630].

Die psychosoziale Versorgung von Karzinompatienten (und deren Angehörigen) wird als wichtiger Bestandteil einer umfassenden onkologischen Behandlung erachtet. Neben der Überlebenszeit stellt die Erhaltung oder Wiederherstellung der Lebensqualität von Patienten, die zum Teil krankheits- und behandlungsbedingt schwerwiegende Einschränkungen verarbeiten müssen, einen Schwerpunkt onkologischer Behandlung dar [530, 631, 632].

Beeinträchtigungen betreffen vor allem folgende Bereiche: körperliche Probleme (Symptome, Schmerzen, Verlust der körperlichen Integrität), Funktionsstörungen (Einschränkung der Leistungsfähigkeit, Infragestellung sozialer Rollen), emotionales Wohl-befinden und soziale Partizipation [530, 633, 634] [Faller et al. 2013].

Art und Ausmaß der individuellen Belastung sind dabei nicht nur von Krankheits-faktoren abhängig, sondern auch von Personen- und Umgebungsfaktoren wie individuellen Ressourcen, Krankheitsverarbeitungsstrategien und von dem Ausmaß an sozia-ler Unterstützung [635].

Wesentlich ist die frühzeitige Diagnostik von aus Krankheit und Therapie resultieren-den oder gleichzeitig auftretenden psychischen Störungen und deren Behandlung [636, 637].

Besonders kritische Phasen im Krankheitsverlauf sind unter anderem die Beendigung der Primärbehandlung und die darauf folgende Zeit des Wartens auf einen langfristigen Therapieerfolg [530, 638]. In dieser Zeit bietet die Rehabilitation Unterstützung für Nierenkarzinompatienten.
Angst, vor allem Progredienzangst, Depressivität und Anpassungsstörungen sind häufige psychische Begleitsymptome einer Krebserkrankung [530]. Dabei ist die subjektive psychische Belastung durchaus unabhängig vom objektiven Befund [639]. Wichtig ist, bei älteren Patienten nach Nierentumoroperation und nach Nierenteilresektion eine intensive Beratung durchzuführen, da sie mehr Rezidivängste aufweisen als jüngere Patienten [640].

Das frühzeitige Erkennen psychischer Störungen in der onkologischen Versorgung und die Bereitstellung eines breitgefächerten und niedrigschwelligen psychosozialen Unterstützungsangebots ist von besonderer Bedeutung, weil komorbide psychische Störungen bei Krebspatienten nicht nur deren Behandlung erschweren, sondern sich auch nachteilig auf die Compliance auswirken und zu schlechteren medizinischen Behandlungsergebnissen führen [641]. Ein solches Angebot kann während der Rehabilitation ermöglicht werden [642]. Für Nierenkarzinompatienten kann eine solche psychosoziale Unterstützung eine wesentliche Hilfe zur Krankheitsverarbeitung darstellen [643]. Eine Metaanalyse psychoonkologischer Studien zeigt, dass psychoonkologische Interventionen psychische Belastungen reduzieren und positive Effekte u. a. auf Angst, Depressi-onen, Hilflosigkeit, Schmerzen, berufliche Beeinträchtigung, körperliche und soziale Aktivitäten sowie die Lebensqualität haben [636].

Zur aktiven psychoonkologischen Krankheitsbewältigung kommen dabei während der Rehabilitation je nach Indikation folgende Maßnahmen zum Einsatz:
• Austausch mit Mitpatienten
• psychologische Einzel- oder Paargespräche
• Gruppengespräche
• Verfahren zur körperlichen und seelischen Entspannung wie die progressive Muskelrelaxation nach Jacobson (PMR)
• Seminare mit Hinweisen zur Lebensführung nach Nierentumortherapie
• Urologische Beratung, insbesondere zu Prognose und Verlauf
• Bewegungstherapie, Balneo- und Physiotherapie, Ergotherapie

Wichtig ist die Beratung der Patienten, dass 50-80 % nach 12 Monaten die gleiche Lebensqualität erreicht haben werden, wie vor der Behandlung [644].

Das Ausmaß der Depressivität ist bei metastatischen Tumoren ein entscheidender Faktor für das Überleben [645], deshalb ist bei depressiven Patienten oft eine weitere psychologische Behandlung am Heimatort angezeigt.
Die Tumorproblematik selbst wird nach Beratung und Therapie von Beschwerden nach der Rehabilitation psychisch in der Regel gut bewältigt. Dabei spielt die Erarbeitung und Bestimmung neuer Lebensinhalte und –ziele eine wichtige Rolle [620].


Sozialmedizinische Beratung

Es soll zum Ende der fachspezifischen urologischen Rehabilitation eine sozial-medizinische Beratung mit entsprechender Dokumentation im Arztbrief unter besonderer Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit, ggf. mit Ausblick auf die zu erwartende weitere Entwicklung gemäß der folgenden Vorgaben durchgeführt werden:

Positives Leistungsbild

Mittelschwere bis gelegentlich schwere körperliche Arbeiten (Lasten bis 40 kg) über 6 Stunden sind nach einer Heilungsphase von 3 Monaten in der Regel möglich. Die Gehstrecke ist nicht eingeschränkt. Bei Niereninsuffizienz ist je nach Ausprägung zu verfahren. In der Regel liegen bei einer Nierenfunktionsstörung neben der (partiellen) Nephrektomie weitere Zusatzerkrankungen vor.
Beim Nierenzellkarzinom im Stadium pT4 und bei Vorliegen von Lymphknotenmetastasen oder Fernmetastasen ist die Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben in der Regel auf unter 3 Stunden einzuschätzen.

Negatives Leistungsbild

Bei verbleibender geringfügiger Bauchdeckenparese oder kleiner Bauchdeckenhernie sind leichte bis gelegentlich mittelschwere körperliche Arbeiten (Lasten bis 15 kg) ohne häufiges Bücken, Heben, Treppensteigen, Arbeiten auf Leitern oder Überkopfarbeiten möglich. Gegebenenfalls ist der temporäre Einsatz von Hilfsmitteln (Stützmieder) sinnvoll [617, 618, 646-648].


Hintergrund Empfehlung 12.6

Spezielle funktionsorientierte Krankengymnastik, Bewegungstherapie und medizinische Trainingstherapie stellen obligatorische Komponenten einer fachspezifischen urologischen Anschlussrehabilitation (AHB) oder Tumornachsorgemaßnahme nach Therapie eines Nierenzellkarzinoms dar [620].
Ergotherapie unterstützt und begleitet Menschen jeden Alters, die in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt oder von Einschränkung bedroht sind. Ziel ist, sie bei der Durchführung für sie bedeutungsvoller Betätigungen in den Bereichen Selbst-versorgung, Produktivität und Freizeit in ihrer persönlichen Umwelt zu stärken. Hierbei dienen spezifische Aktivitäten, Umweltanpassung und Beratung dazu, dem Menschen Handlungsfähigkeit im Alltag, gesellschaftliche Teilhabe und eine Verbesserung seiner Lebensqualität zu ermöglichen. [DVE 08/2007]

Ergotherapie erfolgt klientenzentriert und kann in allen Phasen der Erkrankung eingesetzt werden. Zu den wichtigsten Methoden der Ergotherapie zählen u. a. individuell ausgewählte Betätigungen, Umweltanpassungen, Beratungen, Hilfsmittelanpassung und –training [649] sowie das Hirnleistungstraining. Während der rehabilitativen Ver-sorgung werden vorrangig Begleiterscheinungen der adjuvanten Therapien mit sensomotorisch-perzeptiven Verfahren behandelt [King et al. 2011]. Hierunter fallen u. a. Neuropathien an den Händen und Füßen, ein eingeschränktes Bewegungsausmaß und Ödeme.

Verschiedene randomisierte kontrollierte Studien [649-652] mit 95 Teilnehmern (Mehrzahl der Teilnehmer mit Brustkrebs) berichten von positiven Auswirkungen durch die Ergotherapie, u. a. auf die Begleitsymptomatik, das Stimmungsbild und die Lebensqualität