S3 Leitlinie Nierenzellkarzinom 2015

Kapitel 11: Supportive Therapie

Autor: |Veröffentlicht am 27. September 2016|Aktualisiert am 21. März 2024

Kapitel 11.2: Komplementäre Therapie

11.10 Konsensbasierte Empfehlung
EK

Patienten sollten nach ihrer Nutzung von komplementären und alternativen Therapien befragt werden.  Konsens

11.11 Konsensbasierte Empfehlung
EK  Patienten, die komplementäre Verfahren einsetzen, sollen auf mögliche Risiken und Interaktionen hingewiesen werden.

Konsens


Hintergrund

Prävalenz und Definition

In allgemeinen Untersuchungen liegt die Prävalenz des Einsatzes von Komplementärmedizin bei Tumorerkrankungen bei 50-60 % [600, 601]. Komplementäre Verfahren beruhen auf unterschiedlichen Methoden und Substanzen, die zum Teil aus der Naturheilkunde stammen können oder auf eine andere Weise den Gedanken eines ganzheitlichen Therapiekonzepts verfolgen.

Es gibt keine allgemein festgelegte Definition wie komplementäre Medizin und Alternativmedizin zu verstehen sind. Häufig sind die Begriffe nicht scharf getrennt und werden synonym verwandt. Auch die Grenzziehung zur sogenannten Schulmedizin ist nicht einheitlich.
Komplementäre Verfahren unterscheiden sich von alternativen Verfahren dadurch, dass sie den Wert der konventionellen Therapie und Vorgehensweise nicht in Frage stellen, sondern sich als Ergänzung verstehen [602].

Alternative Therapien beruhen oft auf ätiologischen oder weltanschaulichen Konzep-ten, die wissenschaftlichen Erkenntnissen und Behandlungsgrundsätzen widersprechen, und gehen von einem anderen Verständnis von Ätiologie und Pathogenese von Krankheiten aus. Der Wirksamkeitsnachweis als Basis der wissenschaftlichen Medizin wird hierbei als inadäquat abgelehnt, an seine Stelle treten eigene konzeptbasierte Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit. „Schulmedizinische Vorgehensweisen und Therapien“ werden durch konzeptbasierte alternative Therapien ersetzt. Werden sie parallel eingesetzt, werden die Interaktionen mit schulmedizinischen Verfahren nicht beachtet.


Akupunktur

Die Evidenz in einem Cochrane-Review zur Akupunkturpunktstimulation (11 Studien mit n=1247) kann wie folgt zusammengefasst werden: bei Chemotherapie kann Aku-punkturpunktstimulation das Auftreten von akutem Erbrechen reduzieren. Auf nicht akute oder verzögerte Übelkeit zeigte sich kein Effekt im Vergleich zur Kontrollgruppe [603].

Zur Schmerztherapie liegen nicht genug valide Daten vor, die für eine positive Empfehlung ausreichen. Eine ältere Arbeit nach westlichen Therapiestandards zeigt eine Verbesserung der Schmerzsituation, entbehrt aber einer Kontrollgruppe [604].
Wie auch in anderen Bereichen der komplementären Medizin ersetzt die gegebenenfalls flankierend eingesetzte Akupunktur nicht eine Schmerztherapie in Anlehnung an das WHO-Stufenkonzept. Wird sie zur Antiemese eingesetzt, ersetzt sie nicht den Einsatz einer Rescue-Medikation sowie einer angepassten, an den Leitlinien orientierten antiemetischen Therapie.


Meditation

Der Begriff „Meditation“ ist ein Sammelbegriff, hinter dem sich unterschiedlichste Ansätze verbergen. Gemeinsam ist ihnen, die (Selbst-)Achtsamkeit des Patienten zu erhöhen und damit für ihn einen besseren Umgang mit der Krankheit zu erreichen. In diesem Bereich sind auch die klassischen Entspannungsverfahren anzusiedeln.

Die bisher veröffentlichten Daten zu Tumorpatienten beruhen auf sehr heterogenen Daten unterschiedlicher Qualität mit eingeschränkter Aussagekraft [605]. In der begleitenden Therapie sind keine Nebenwirkungen zu erwarten. Der wesentliche Nutzen solcher Therapieverfahren liegt in einer Verbesserung des seelischen Wohlbefindens und einer Stressreduktion, die mit einer Verbesserung der Lebensqualität korrelieren. [605, 606].


Homöopathie

Es gibt keine Hinweise darauf, dass sich durch Homöopathie ein therapeutischer Nut-zen für Patienten mit Nierenzellkarzinom erzielen lässt. Eine Cochrane-Analyse unter-sucht eine sehr heterogene Gruppe an Studien. In insgesamt 8 Studien (n=664) fanden sich vorläufige Daten zur Wirksamkeit von Calendula bei der Prophylaxe einer radiogenen Dermatitis (n=254) und für Traumeel S gegenüber Placebo als Mundspülung bei chemotherapieinduzierter Stomatitis. Zusammenfassend ergab sich aber keine über-zeugende Evidenz für die Wirksamkeit von homöopathischen Präparaten in der Begleittherapie von Tumorpatienten [607].


Misteltherapie

Es gibt keinen Hinweis auf einen positiven Einfluss von Mistelextrakten auf die Prognose von Patienten mit Nierenzellkarzinom.

Das Cochrane-Review weist keinen positiven Effekt einer Therapie mit Mistelextrakten auf das Überleben nach, und auch die Verbesserung der Lebensqualität durch Mistelextrakte ist auf Basis der Datenlage nicht belegt [608]. Die Reviewer der Cochrane-Analyse sehen lediglich schwache Hinweise auf Verbesserung der Lebensqualität [608].

Die meisten Studien zur Misteltherapie sind methodisch nicht ausreichend. Die methodisch gut durchgeführten Studien zeigen keinen positiven Einfluss auf das Überleben. Es gibt nach wie vor keine Daten zur Langzeitanwendung und ihren Folgen [608].
Es ist unbestritten, dass es unter Misteltherapie zu einer Reihe von immunologischen Reaktionen kommt, die in verschiedenen Studien je nach Fragestellung voneinander abweichen. Ob es zu klinisch relevanten negativen immunologischen Effekten kommen kann, ist nach wie vor ungeklärt [609].
Es gibt keine vergleichenden Untersuchungen und Bewertungen von verschiedenen Präparaten. Die Herstellerempfehlungen basieren bezüglich der Konzentration der Mistelpräparate, der Auswahl der Wirtsbäume und den Zusätzen von anderen Stoffen zu einzelnen Mistelpräparaten nicht auf wissenschaftlichen Untersuchungen, sondern orientieren sich am Konzept der Anthroposophie und deren Weltbild. Sie sind auf deren Tumorkonzept ausgerichtet und nicht an evidenzbasierten Erkenntnissen.


Hyperthermie

Die physikalische Zufuhr von Wärme bei Tumorerkrankungen kann in unterschied-lichen Formen stattfinden und wird wie folgt unterschieden [610]:
• Ganzkörperhyperthermie
• Perfusionshyperthermie
• Lokale Oberflächenhyperthermie
• Teilkörperhyperthermie

Da sowohl alle lokalen als auch die systemischen Verfahren mit dem Oberbegriff „Hyperthermie“ bezeichnet werden, ist es schwer, sie in der Beurteilung der Wirksamkeit voneinander abzugrenzen.
Die Ganzkörperhyperthermie zielt auf eine Erhöhung der Körperkerntemperatur ab und kann bei systemischer Metastasierung angewendet werden. Bei der Teilkörperhyperthermie, der Perfusionshyperthermie und der lokalen Oberflächenhyperthermie werden lokalisierte Malignome so selektiv wie möglich überwärmt.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass für die Hyperthermie als alleinige Therapie bei der Behandlung von Tumoren nicht der klinische Wirksamkeitsnachweis vorliegt. Zwar gibt es für einzelne Tumorentitäten und Indikationen vielversprechende Ergebnisse, jedoch fehlt für die Behandlung des Nierenzellkarzinoms wie für viele andere Tumoren der wissenschaftliche Wirksamkeitsnachweis. Zudem wurden die wenigen erfolgversprechenden Anwendungen der Hyperthermie ausschließlich in Kombina-tion mit Strahlentherapie und/oder Chemotherapie erzielt, welche bei der Behandlung des Nierenzellkarzinoms per se bereits nahezu wirkungslos sind [610]. Eine Behand-lung von Nierenzellkarzinomen mit Hyperthermie ist ein experimentelles Therapieverfahren und ist außerhalb von GCP-konformen Studien abzulehnen [611-613].


Beratung

Die ärztliche Beratung im Bereich Komplementärmedizin sollte das Interesse und die Zielsetzung, die der Patient mit dem Komplex Komplementärmedizin verbindet, abfragen. In diesem Zusammenhang kann es hilfreich sein, das für den Patienten relevante, laienätiologische Modell zur Tumorbiologie zu erfragen. Das Ziel der weiteren Bera-tung sollte neben einer fachlich orientierten Aufklärung über die Möglichkeiten und Risiken einer komplementären Therapie zu einer gegenseitigen Offenheit und damit zu einer Stärkung der Arzt-Patientenbeziehung führen. Damit können zum einen die Eigeninitiative und Selbstverantwortung der Patienten und ihre Kontrolle gestärkt werden, zum anderen der Patient eher vor unseriösen Angeboten geschützt werden, und nicht zuletzt Schaden durch Nebenwirkungen und Wechselwirkungen durch unkontrol-lierte Anwendung von komplementären und alternativen Methoden abgewendet werden [614, 615]