Autor: Redaktion|Veröffentlicht am 04. August 2009|Aktualisiert am 21. März 2024

Museum und Archiv der Deutschen Gesellschaft für Urologie e.V.

Vom Steinschneider zum Facharzt

Düsseldorf, 04.08.2009. Wussten Sie, dass der Begriff Steinschnitt nicht nur eine uralte Form der bildenden Kunst mit Wurzeln im antiken Mesopotamien beschreibt, sondern auch ein schmerzhaftes Handwerk, das über Jahrhunderte die Probanden von quälenden Harn- und Blasensteinen befreite? Haben Sie eine Vorstellung vom Funktionsprinzip des ersten Zystoskops? Kennen Sie die Lehre von den Säften? Auf diese und noch weit mehr Fragen findet der interessierte Besucher im Museum der Deutschen Gesellschaft für Urologie e.V. (DGU) anschaulich Antwort. In der Düsseldorfer Ausstellung wird die Geschichte der Urologie „ganzheitlich als Ergebnis von Lebensweisen, Interessen und Erinnerungen von Menschen unterschiedlicher Herkunft, von Ärzten und Patienten, gesehen“ sagt Museumsleiter Dr. Friedrich Moll.

Die Exponate – rund 1500 Instrumente und Geräte, ungezählte Fotografien sowie mehr als 8000 Bücher, Dissertationen und Zeitschriftenbände, aber auch Kuriosa und persönliche Gegenstände bekannter Urologen - spiegeln einen breiten Zeitraum wider: Vom Altertum und dem damaligen Wissen vom Wasserlassen, dem Urin und der Linderung damit zusammenhängender Beschwerden bis hin zur Herausbildung der modernen Urologie heutiger Prägung wird die Entwicklung detailreich nachgezeichnet.
So erfährt der Besucher auch, dass Ärzten der Steinschnitt durch den Hippokratischen Eid verboten war. Dieser Eingriff sei denen zu überlassen, die ihn regelmäßig ausübten, also den Steinschneidern oder Lithotomisten. Erst im 18. Jahrhundert wurde das Postulat ärztlicher Ethik in diesem Punkt soweit gelockert, dass fortan auch Ärzte Steinoperationen durchführen durften.
Die frühesten geschichtlichen Hinweise reichen weit bis zu den alten Ägyptern und Hebräern zurück. Kein Wunder, denn bestimmte Leiden plagten die Menschheit schon immer. So sind zum Beispiel Harnsteinleiden keinesfalls eine reine Zivilisationskrankheit, wie heute oft fälschlich behauptet; in Ägypten wurde zwischen den ausgegrabenen Beckenknochen eines jungen Mannes ein etwa 7000 Jahre alter Blasenstein gefunden. Schon früh versuchte man die Steine mit Bohrern, Feilen und anderem Gerät zu zerstören und zu entfernen.

Zu den ältesten dokumentierten chirurgischen Eingriffen, die heute ins urologische Spektrum fallen, zählt die Beschneidung oder Zirkumzision. Gegen Blasenentzündungen, unter denen besonders Frauen häufig litten, wurde über Jahrhunderte mit dem Aderlass chirurgisch vorgegangen. Das frühe Wissen über die entzündungshemmende Wirkung mancher Pflanzen wie Bärentraubenblätter oder Goldrute unterstützte die Therapie medikamentös. Hinzu kamen verordnete Diäten. Dieser Ansatz wurde erst im 20. Jahrhundert durch die Entwicklung der Antibiotika abgelöst.

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Rund 2000 Jahre lang hatte die Humoralpathologie, die Lehre von den vier Kardinalsäften – Blut, Schleim, schwarze und gelbe Galle - und ihrer Mischung untereinander, die medizinische Entwicklung bis ins 17. Jahrhundert geprägt. Parallel gewann die Harnschau, auch Uroskopie genannt, zentrale Bedeutung. Als wichtigste Ausscheidung der Kardinalsäfte musste der Harn deutliche Hinweise auf mögliche Krankheiten geben. Das Uringlas entwickelte sich zum wichtigsten Symbol des Mediziners, wie sogar Zeichnungen von Albrecht Dürer (1471-1528) attestieren. Selbst der Medizinprofessor Johann Juncker aus Halle, der um 1730 den Begriff „Urologia“ einführte und damit den Urologen als Namensgeber ihrer Fachrichtung gilt, verstand den Begriff zu seiner Zeit noch in dem Sinne, als „das Wasser besehen“. Auf heitere Weise nahm sich auch der deutsche Lyriker und Dichter Eugen Roth (1895-1976) in einem Vers des Themas an: „Zwei Dinge trüben sich beim Kranken: der Urin und die Gedanken.“     

Das Museum dokumentiert indes nicht nur die Entwicklung des professionellen Selbstverständnisses der Urologen, sondern auch die Etablierung als selbstständige Fachdisziplin, die ziemlich lange auf sich hatte warten lassen. Zu stark war die Urologie in ihrem interdisziplinären Ursprung gefangen und hing zwischen Fächern wie Chirurgie, Innere Medizin, Gynäkologie und Dermatologie fest. Die allmähliche Emanzipation der Urologie in Deutschland war eng verbunden mit Namen wie Maximilian Nitze, Gustav Simon, Carl Posner und Leopold Casper. Gleichwohl ließen erste Lehrstühle für Urologie sowie die Anerkennung als Lehr- und Prüfungsfach an den Universitäten noch bis in die 1960er-Jahre auf sich warten. Anhand von thematischen Schwerpunkten wie zum Beispiel Chirurgie und Laserurologie, Endoskopie und Laparoskopie, Trans- und Intersexualität, aber auch Implantaten, Andrologie und Geschlechtskrankheiten wird die Entwicklung der Urologie hin zu einem eigenständigen fachärztlichen Gebiet dargestellt.

Ein Meilenstein in der Etablierung als Spezialfach war die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Urologie im Jahre 1906. Sie hatte das primäre Ziel, durch gemeinsame Arbeit ihrer Mitglieder die Urologie zu fördern. Zählte die Gesellschaft bei der Gründung gerade einmal 38 Mitglieder, so waren es ein Jahr später beim ersten DGU-Kongress in Wien unter der Präsidentschaft von Professor Dr. Anton Ritter von Frisch bereits 250.

Die Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft von 1933 bis 1945, in der nicht arische Funktionsträger und Kollegen massiv verfolgt wurden, stellt ein schwieriges Kapitel dar. Man kann es aus heutiger Sicht getrost mit Begriffen wie Einverständnis und Willfährigkeit gegenüber den politischen Zielen der Nazis sowie dem Niedergang medizinischer Ethik beschreiben. Diese Entwicklung fand ihren Ausdruck auch in der Gründung der „Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen“, nachdem man sich von den deutsch-österreichischen Mitgliedern getrennt hatte. Eine Aufarbeitung dieses düsteren Kapitels fand nach dem Krieg nicht statt, es wurde verdrängt und sollte vergessen werden, wie im Museum und Archiv der DGU dokumentiert ist. Professor Dr. Peter Rathert, bis 2007 Archivar der DGU, und Museumsleiter Dr. Friedrich Moll, der zugleich Vorsitzender des DGU-Arbeitskreises Geschichte der Urologie ist, haben zu dieser Thematik gemeinsam zwei wichtige Beiträge unter den Titeln „Gleichschaltung – Ausschaltung – Anpassung: 1933-1945“ und „Verdrängung – Neugründung – Aufstieg: 1948-1961“ in der Jubiläums-Festschrift zur Gründung der DGU vor 100 Jahren „Urologie in Deutschland, Bilanz und Perspektiven“ verfasst, die 2007 im Verlag Springer veröffentlicht wurde. 2009 gab der Vorstand der DGU ein breit angelegtes wissenschaftliches Projekt in Auftrag, das die NS-Vergangenheit aufarbeiten soll. Die Federführung teilen sich Dr. Moll und DGU-Archivar, Privatdozent Dr. Dirk Schultheiss. 

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die Urologie in Deutschland durch nationalsozialistischen Rassenwahn und Isolation den Anschluss an das internationale wissenschaftliche Niveau zunächst verloren. 1948 gab es dann erste Initiativen für eine Wiedergründung der Deutschen Gesellschaft für Urologie. Aber erst 1955 wurde diese mit der Löschung der „alten“ DGU rechtlich bindend vollzogen. Mit dem Bau der Mauer erfolgte im August 1961 eine politische Zäsur, die sich auch auf die DGU auswirkte: DDR-Kollegen konnten nicht mehr an den Kongressen teilnehmen. 1962 wurde die „Arbeitsgemeinschaft der Urologen in der DDR“ gegründet, die fortan eigene Kongresse veranstaltete. Nach dem Fall der Mauer 1989 und der Wiedervereinigung 1990 reagierten die urologischen Fachgesellschaften 1990 auf dem 42. Kongress in Hamburg mit dem Auftrag, über eine Vereinigung der urologischen Gesellschaften in Ost und West zu verhandeln, die dann noch im selben Jahr rasch vollzogen wurde.

Der wechselvollen Geschichte der DGU vergleichbar ist teilweise auch die Geschichte ihres Archives und ihrer historischen Bestände. Schon 1909 war auf dem zweiten Urologen-Kongress die Einrichtung einer eigenen Bibliothek und einer geschichtlichen Sammlung gefordert worden. „Seit kurzem wissen wir, dass in den 1930er-Jahren eine diesbezügliche Ausstellung in Berlin stattfand“, so Museumsleiter Moll. „Aber erst von den 1950er-Jahren an begann der damalige Archivar, Dr. Johannes Keller aus Dresden, eine systematische Sammlung aufzubauen, die durch den Mauerbau und den Tod Johannes Kellers dann aber unterging.“ Erst jetzt seien einige Objekte wiederentdeckt worden. In West-Berlin habe dann Dr. Fritz Schultze-Seemann begonnen, eine neue Sammlung anzulegen, die später vom damaligen DGU-Archivar Professor Rathert vor einem neuerlichen Verlust gerettet wurde. Zwischenzeitlich in Düren untergebracht, wurde die Sammlung dann in ihrem heutigen Domizil in der DGU-Geschäftsstelle in Düsseldorf ab 2000 als Museum und Archiv zur Geschichte der Urologie kontinuierlich ausgebaut. Ein Großteil der Exponate stammt aus Nachlässen von Privatpersonen, vereinzelt kommen Sachspenden von Institutionen aus Wissenschaft und Industrie hinzu, teilweise findet auch ein Austausch mit anderen medizinischen Museen statt. Eine eigene Sammeltätigkeit ist aufgrund des engen Budgets bisher nur begrenzt möglich.

Museumsleiter Moll, der eng mit DGU-Archivar Schultheiss, zusammenarbeitet, verweist mit Stolz darauf, dass die Historie des Fachgebietes nicht in separaten Räumen untergebracht, sondern integriert in die laufende Arbeit der Geschäftsstelle eingebunden sei: „Dieses Konzept wurde Modell sowohl für die Amerikanische als auch die Europäische Gesellschaft für Urologie.“ So werde die Zielsetzung des Museums, beim Blick auf die Geschichte und bei der wissenschaftlichen Arbeit offen für aktuelle Themen und Fragestellungen zu sein, zusätzlich unterstützt. Das Düsseldorfer Urologen-Museum, das in seiner generalistischen Ausrichtung in Europa einzigartig ist, arbeitet eng und freundschaftlich mit anderen Museen rund um den Globus zusammen. Denn: „Über den ‚Arbeitskreis medizinische Museologie’ sind wir fest in die deutsche und ausländische Museumslandschaft eingebettet“, sagt Moll.

Die Besucherschaft des Museums in der Uerdinger Straße 64 in Düsseldorf ist bunt gemischt: Fachpublikum aus Medizin und Wissenschaft, Studenten, aber auch interessierte Laien. Naturgemäß sind physische Exponate, die die technische Entwicklung in der Urologie nachzeichnen, beim Publikum besonders gefragt. Zu den wertvollsten  Attraktionen des Museums gehört etwa ein Lichtleiter von Antonin Jean Descormeaux, dem Vater der modernen Endoskopie. Außerdem besitzt das Museum ein großes Lithotripsieset von Civiale. Von seinen wenigen, weltweit noch vorhandenen Geräten zur Zertrümmerung von Steinen gibt es in der Regel nur noch den kleinen Instrumentensatz. Um ein repräsentatives „Königlich Bayrisches Steinschnittset“ aus dem 19. Jahrhundert zu sehen, braucht der Besucher allerdings etwas Glück. Denn dieser Instrumentenkasten wird wegen seiner Besonderheit häufiger für wissenschaftliche Ausstellungen und Filmaufnahmen ausgeliehen, wie Museumsleiter Moll berichtet. Ob die urologische Geräteschau bei Besuchern wie gewünscht auch „Angst vor unseren immer etwas gefährlich aussehenden Instrumenten nimmt“, ist indes nicht verbürgt. Es gibt jedoch auch „harmlose“ Exponate wie etwa Penisfuterale, Phallusamulette oder auch den Gartenzwerg „Urologe“, original aus Gräfenroda – und mit Katheter.

Der Besuch des Urologen-Museums ist so interessant und lohnend wie seine Thematik, mit der die Menschheit zu allen Zeiten konfrontiert war. Nicht umsonst hat die Urologie sogar Einzug in die bildende Kunst fast aller Epochen gehalten: Leonardo da Vinci, Peter Brueghel der Ältere, Rembrandt, Otto Dix, Andy Warhol oder Georg Baselitz, um nur einige zu nennen, widmeten sich in ihrer Weise Themen mit urologischem Bezug. (Matthias Heining)

Interessierte können in der DGU-Geschäftsstelle telefonisch (+0049-211-516096-0) einen Besuchstermin ausmachen oder die Museums-Schätze in der nächsten Düsseldorfer Langen Nacht der Museen im April 2010 in Augenschein nehmen.

Besucher des 61. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Urologie e.V. haben die Möglichkeit, einen Teil der DGU-Austellung vom 16. bis 19. September 2009 in Dresden zu sehen.

Lesen Sie auch: Urologen starten eigene Museums-Website

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