Autor: |Veröffentlicht am 26. Juni 2024|Aktualisiert am 30. Juni 2024

Klinik in Ellwangen steht vor dem Aus: Urologie-Chef PD Dr. Jung nach Bürger-Protesten im Interview

Mit der Urologie in Ellwangen ist ein wichtiger Versorgungsstandort bedroht: Chefarzt PD Dr. Peter Jung berichtet im Gespräch mit der DGU-Pressestelle über die aktuellen Ereignisse im Ostalbkreis, wo die allgemein angespannte Krankenhausfinanzierung und die Probleme von Krankenhäusern in Flächenländern zu folgenschweren Konsequenzen führen.

1. Herr PD Dr. Jung, der Aufschrei in Ellwangen ist groß: Rund 5000 Teilnehmende haben am 22. Juni für den Erhalt der Virngrund-Klinik protestiert, die infolge aktueller Neustrukturierungen in der Region vor dem Aus steht. Es folgte ein Sturm auf das Landratsamt. Was passiert da gerade im baden-württembergischen Ostalbkreis?

Hier kämpfen die Bürgerinnen und Bürger von Ellwangen und den umliegenden Gemeinden für den Erhalt ihrer Klinik vor Ort. Auslöser für die aktuellen Proteste ist eine Entscheidung des Landrats, die zwar noch nicht vom Kreistag beschlossen ist, die aber konträr zu bisherigen Beschlüssen steht. Im Ostalbkreis existieren drei Krankenhäuser - Aalen und Mutlangen als größere Kliniken und Ellwangen mit kreisweit einziger Urologie, Innere Medizin, Chirurgie, Kinder/Jugendpsychiatrie, Anästhesie und Schmerztherapie als einem kleineren Haus,  welches allerdings vor wenigen Jahren umfassend renoviert wurde. Defizite haben zu der Entscheidung geführt, sich in Zukunft mit einem zentralen Regionalversorger in der Mitte des Kreises, der allerdings erst noch gebaut werden muss und 2035 fertig sein soll, sowie mit zwei Grund-und Regelversorgern in Mutlangen und Ellwangen aufzustellen. Aufgrund weiter steigender Defizite kam nun die neue Landratsentscheidung: Sie lautet Schließung der Operationssäle, der Anästhesie mit Intensivstation, der Chirurgie und der Urologie in Ellwangen, Abstufung zur 1i-Klinik. Dies würde bedeuten, dass die Klinik Ellwangen nicht mehr vom Rettungsdienst angefahren wird, dass 12 Prozent der Bevölkerung des Kreises im Notfall nicht mehr adäquat versorgt sind. Das hat die Menschen in dieser Region verständlicherweise auf die Straße getrieben.

2. Was gab den Ausschlag für die aktuelle Landratsentscheidung?

Ausschlaggebend waren weiter steigende Defizite in Höhe von prognostizierten 60 Millionen Euro für dieses Jahr. Verantwortlich dafür ist neben der allgemeinen Unterfinanzierungen der Kliniken auch die Struktur im Kreis. Es gibt Doppel- und Dreifachvorhaltungen, in erster Linie in der Orthopädie und in der Visceral-(Tumor-) Chirurgie. Die OP-Auslastung liegt aktuell unter 80 Prozent - allerdings in erster Linie wegen OP-Stillstand aufgrund von Personalmangel in der Anästhesie. Dieses wird als eine Ursache für die Defizite gesehen. Diese These wird allerdings durch die Tatsache in Frage gestellt, dass die Klinik Ellwangen vor der Zusammenlegung in die Kliniken Ostalb 2019 sehr wohl schwarze Zahlen schrieb. Weitere Ursachenforschung zu den Defiziten blieb bisher aus. In den Sinn kommen mir ausufernde Verwaltungsstrukturen und patientenferne Abteilungen.

3. Welche Folgen befürchten die Protestierenden durch eine Schließung der Virngrund-Klinik?

Die fehlende Notfallversorgung macht den Bewohnern dieser Region natürlich die größten Sorgen. Doch das Aus der Klinik hätte darüber hinaus für alle Betroffenen weitreichende Konsequenzen, die im Detail komplex und kontraproduktiv für eine angemessene wohnortnahe Versorgung sind.

4. Was befürchten Sie denn konkret für die urologische Versorgung und für das urologische Personal?

Der Standort ist für die urologische Versorgung sehr wohl wichtig: Die Klinik in Ellwangen hat 29 Betten, neben mir als Chef, zwei OÄ, zwei Funktions-OÄ, vier Assistenzärzte, deren Dienste fachübergreifend mit der Chirurgie erfolgen. Wir habenjährlich ca. 1.800 Patienten, die wir stationär versorgen; dazu kommen 300 ambulante Operationen, eine große Privatsprechstunde, eine KV-Zulassung auf Zuweisung vom Urologen und eine volle Weiterbildungsermächtigung. Ich leite die Abteilung seit mittlerweile 24 Jahren. Damals bin ich aus der Universitätsklinik RWTH Aachen nach Ellwangen gewechselt. Ich habe das nie bereut, sondern mich immer sehr wohl gefühlt.

Ich habe in der Zeit die Urologische Onkologie aufgebaut. Alle Tumoreingriffe, Prostatektomie, Zystektomie mit allen Formen der Harnableitung, den verschiedensten Formen der Nierentumorchirurgie bis zur Autotransplantation werden durchgeführt. Daneben wird die gesamte Steintherapie angeboten, in der Endourologie steht ein Thulium-LASER zur Verfügung. Ein weiteres Patientenkollektiv wird durch die medikamentöse Tumortherapie umfassend betreut. Leider hat die Klinikleitung bisher dem Kauf eines seit Jahren geforderten Roboters nicht zugestimmt. Deshalb schrumpfte die Anzahl radikalen Prostatektomien von über 100/Jahr auf gut 30.

Die Urologische Abteilung soll nun innerhalb eines Jahres vorübergehend nach Mutlangen verlegt werden. Mutlangen liegt aber im Westen des Landkreises, schon im Einzugsgebiet Stuttgarts mit mehreren großen Urologien mit Roboter zwischen Mutlangen und Stuttgart und in Stuttgart selbst. In der Region Ellwangen sind konkurrierende Urologie-Abteilungen weit entfernt, hier werden viele Patienten aus dem angrenzenden Bayern versorgt.

Die Sorgen sind daher groß: Die Menschen aus der Region haben eine problematischere Versorgung, sie werden eher nach Norden und Süden in Nachbarkreise ausweichen als nach Mutlangen zu gehen. Es wird eine sehr lange Zeit brauchen, um in Mutlangen wieder eine adäquate Klinik aufzubauen. Und dann kommt der gleiche Prozess in 2035 nochmals. Selbst mit Roboter wird z.B. ein Prostatakarzinomzentrum somit utopisch.

Begründet wird dieser Schritt mit der noch nicht verabschiedeten Gesetzgebung, dass etwa die Leistungsgruppe, in welcher das Prostatakarzinom abgebildet ist in Ellwangen nicht alle Voraussetzungen erfüllen würde.

Auch die Konsequenzen für das Personal sind erheblich: Nur wenige werden der Verlegung der Klinik folgen, da sie in der Region Ellwangen wohnen und über kleine Landstraßen der Weg nach Mutlangen über eine Stunde beträgt. Auch die Ärzte werden zum großen Teil nicht wechseln, ein Rufdienst von zu Haus ist aufgrund der Entfernung nicht mehr möglich. Am neuen Standort wird ein eigener Dienst organisiert werden müssen, da dort ein gemeinsamer Dienst mit der Chirurgie nicht etabliert ist, d.h. es werden in Zeiten des Fachkräftemangels sogar mehr Ärzte benötigt.

5. Nicht zuletzt ist die Virngrund-Klinik Lehrkrankenhaus der Universität Ulm: Welche Konsequenzen hätte eine Schließung für die Lehre in Baden-Württemberg?

Es muss gesagt werden, dass die Urologie - angesiedelt im Krankenhaus Mutlangen - auch Studenten der Universität ausbilden kann. Ich gehe jedoch davon aus, dass das weniger attraktiv ist. Denn eine Abteilung im Aufbau mit naturgemäß einer geringen Patientenzahl kommt für PJ-Studenten eher nicht in Frage. Wir verlieren also letztlich Nachwuchs für unser Fach. Das ist nicht gut.

6. In Ellwangen werden die Folgen der chronischen Krankenhausunterfinanzierung und die Probleme der Flächenländer beispielhaft deutlich: Welche Schritte erwarten Sie nun von den verantwortlichen Handlungsträgern vor Ort?

Tatsächlich kommen hier die allgemeine finanzielle Lage und speziell in diesem Landkreis vorhandene Doppelstrukturen in den drei Klinikstandorten, überdimensionierte Verwaltung, patientenferne Abteilungen sowie der Fachkräftemangel mit der Notwendigkeit teurer Honorarkräfte zusammen.

Die Urologie wird in der Zukunftslösung im Haus der zentralen Versorgung angesiedelt werden. Aber die Entscheidung, sie in der Zwischenzeit in den anderen Regionalversorger umzusiedeln, halte ich für fatal. Die geographische Lage der Urologie, die seit 50 Jahren existiert, ist für die Patientenströme perfekt: Wir haben sehr viele Zuweisungen aus den Nachbarkreisen nach Osten in Bayern und nach Norden in BW, da dort keine Urologie existiert. Aber die Fahrt aus Bayern, die nach Ellwangen 20-30 Minuten erfordert, wird nach Mutlangen ca. 90 Minuten dauern. ÖPNV in der Fläche existiert nicht. Es wird also zu großen Patientenverlusten kommen, was zu Defiziten führt und dem Gesamtziel der Verbesserung der finanziellen Lage abträglich ist.

Ich erwarte, dass die Urologie am Standort Ellwangen endlich mit Robotertechnik ausgestattet wird. Auch in diesem Punkt zeitgemäß ausgestattet, kann ein Prostatakarzinomzentrum lange vor 2035 etabliert werden und die Urologie kann dann in einer starken Position einen Umzug in den Zentralversorger gut verkraften. Da bin ich mir sicher. Im Übrigen ist der Ltd. Oberarzt der Urologie Ellwangen der einzige Operateur im Ostalbkreis, der die Robotertechnik durch seine langjährige Arbeit in einem Großklinikum beherrscht.

7. In welcher Form können Sie aus der Ärzteschaft heraus zu einer konstruktiven Lösung vor Ort beitragen?

Unser Ziel muss doch sein, die Patientenversorgung zu gewährleisten. Das Zukunftskonzept mit einem großen Zentralklinikum sowie zwei Grund- und Regelversorgern ist ja einleuchtend und unterstützenswert. Wir Ärzte müssen daran mitarbeiten, diese beiden Grund- und Regelversorger mit Leben zu füllen, sie so zu gestalten, dass Patienten hier ihre Basisversorgung erhalten. Dazu gehört aber eine Innere Abteilung und eine Chirurgie und eben auch eine Anästhesie. Möglicherweise helfen hier Angebote an niedergelassene Fachärzte, sich etwa belegärztlich zu engagieren.

Ärztlicherseits können Leistungsangebote definiert werden, welche rentabel zu bewerkstelligen sind. Hierbei können und sollen die beiden Grund- und Regelversorger durchaus verschiedene Angebote vorweisen.

8. Was können Sie Kolleginnen und Kollegen mit Blick auf Ihre aktuellen Erfahrungen raten?

Angesichts deutschlandweiter Defizite in den Krankenhäusern und von Flächenkreisen, die mit mehr als einem Klinikum z.B. durch Doppel- und gar Dreifachstrukturen große Summen an Geldern verschwenden, sollten wir uns der anstehenden Krankenhausreform nicht verschließen, sondern ihre Chancen sehen. Ob sie sogar hilfreich sein kann, wird die Zukunft zeigen. Dafür aber muss der Spagat gelingen zwischen einem Großklinikum mit allen Leistungsangeboten und kleinen Krankenhäusern in der Fläche, welche die Patientenversorgung gewährleisten.

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