Nachlese zum 76. DGU-Kongress in Leipzig: Die Digitalisierung ist in der Urologie angekommen
Videoclips der aktuellen PCa-Früherkennungskampagne in den Leipziger Straßenbahnen, Kampagnen-Plakate an den Lithfasssäulen der Stadt und über 6300 Fachbesucherinnen und
-besucher auf dem 76. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie e.V. (DGU) im Congress Center Leipzig (CCL): Die Bachstadt stand vom 25. bis zum 28. September 2024 unübersehbar im Zeichen der Urologie. DGU- und Kongresspräsident Prof. Dr. Jürgen E. Gschwend hatte die Fachwelt unter dem Kongressmotto „Wissen schafft Evidenz, Heilung und Innovation“ zum wichtigsten Urologie-Kongress im deutschsprachigen Raum geladen. Seine Mission war klar: Er wollte die einzigartige Bedeutung der Forschung und der Innovation als Treiber für die bestmögliche Versorgung urologischer Patientinnen und Patienten würdigen, und auch das war in Leipzig nicht zu übersehen – er hat geliefert. Innovationen, allen voran die digitale Transformation der Urologie mithilfe der KI, prägten den Kongress. Wer im CCL dabei war, konnte es an allen vier Kongresstagen erleben: Die Digitalisierung ist in der Urologie angekommen.

„Wir sind ein Fach, das neue Methoden und Medikamente früh an die Patienten bringen will“, betonte Kongresspräsident Gschwend denn auch an Tag 1 in der DGU-Eröffnungs-Pressekonferenz. Beispielhaft dafür präsentierte DGU-Vorstand Prof. Dr. med. Axel Haferkamp den anwesenden Medienschaffenden wissenschaftliche Highlights vom 76. DGU-Kongress, und auch er unterstrich, dass die Auswahl der am besten bewerteten Abstracts traditionell die Onkologie und die rekonstruktive Chirurgie, aber zunehmend auch KI, Machine Learning und Digitalisierung beträfen, in diesem Jahr etwa Studien zur KI-gestützten Bildgebung bei der PCa-Diagnostik und zu KI-basierten Tumorboard-Empfehlungen. Daneben seien es App-basierte Therapien, welche die Patientenversorgung derzeit veränderten – angefangen bei der Behandlung der ED, der Harninkontinenz und nun auch bei der Therapie des BPS. Neue Medikamente zur Überwindung zunehmender Antibiotikaresistenzen bei der Behandlung von Harnwegsinfekten stünden, einer vielversprechenden Studie aus der Infektiologie zufolge, in der Pipeline.
DGU fordert Prostatakarzinomscreening als GKV-Leistung


Das wichtigste gesundheitspolitische Anliegen der DGU formulierte Prof. Dr. med. Maurice Stephan Michel mit der Forderung, dringend ein evidenzbasiertes organisiertes risikoadaptiertes Prostatakarzinomfrüherkennungsprogramm als GKV-Leistung in Deutschland zu etablieren. Einen Algorithmus dafür, der sowohl zur Senkung der Mortalität und der palliativen Behandlungssituationen als auch der Überdiagnose und Übertherapie des Prostatakarzinoms beiträgt, stellte der langjährige Generalssekretär der Fachgesellschaft in der Pressekonferenz vor. Moderiert wurde diese von DGU-Pressesprecher Prof. Dr. med. Axel Merseburger, seines Zeichens ausgewiesener Social Media-Experte.


Als solcher war Merseburger bei der offiziellen Kongresseröffnung im DGU-Plenum gefragt, wo die Fachgesellschaft bekanntlich ausgewählte Projekte ihrer Arbeit präsentiert. Und, daran ließ der DGU-Pressesprecher keinen Zweifel, die urologische Öffentlichkeitsarbeit in sozialen Netzen gehört inzwischen dazu. Ob LinkedIn, Instagramm, X, Tik Tok oder You tube: Prof. Merseburger stellte die neuen digitalen Werkzeuge vor, mit denen Patientinnen und Patienten, Angehörige, Fachkräfte, Medien, Gesundheitsorganisationen und Gesundheitspolitik heute erreicht werden. Auch appellierte er an die Kolleginnen und Kollegen, sich auf der Website der Urologischen Stiftung zu registrieren, um das dortige Informationsangebot für die Patientenaufklärung zu nutzen. Nicht zuletzt gab Merseburger in seinem hörenswerten Vortrag, der sicher ein Tipp für den nachträglichen Kongressbesuch auf DGU on Demand ist, den Startschuss für die DGU-App 2.0, die nun in allen App-Stores zu haben ist und Mitgliedern gute digitale Dienste leisten wird.
Strukturwandel: Die Zukunft liegt in regional abgestimmten Versorgungsnetzwerken

Gender-Empowerment, Leitlinienarbeit, künftig übrigens ebenfalls KI-unterstützt, das Engagement der GeSRU bei der Nachwuchsförderung, Versorgungsforschung, die DGU-Exzellenzinitiative, die zum Gedenken an Prof. Dr. med. Dr. h.c. Manfred Wirth jüngst ein weiteres Stipendienprogramm aufgelegt, die inzwischen über 40 Stipendiaten hervorgebracht und sich als Karriere-Booster erwiesen hat: Auch diesen Themen gab die DGU in ihrem Plenum Raum, bevor Prof. Michel schließlich zum Strukturwandel in der Urologie sprach. Er blickte auf den Fachkräftemangel, den steigenden Versorgungsbedarf immer älterer Patienten, auf die Ökonomie urologischer Therapien und bot Lösungsansätze. Über ungelöste Probleme etwa bei der Hybrid-DRG für Harnleitersteine oder bei der Umverteilung von Tumorpatienten durch die Mindestmengenregelung sei die DGU mit dem Bundesgesundheitsministerium im Dialog, wie der scheidende Generalsekretär versicherte. Sein Fazit: „Die Zukunft liegt aus meiner Sicht in regional abgestimmten Versorgungsnetzwerken aus Kliniken und Niedergelassenen. Wir müssen Qualitätsstandards definieren, gemeinsam und abgestimmt versorgen, gemeinsam ausbilden und schauen, dass in den Regionen eine gute Weiterspezialisierung vorhanden ist“. Auch hier gilt für alle, die nicht live vor Ort waren: Unbedingt auf DGU on Demand nachhören!


Ab Tag 2 brummte es im CCL: Unter anderem standen Foren zur Andrologie und zur Implementierung des risiko-adaptierten PCa-Screenings in Deutschland sowie das Tumorboard zum Prostatakarzinom auf der Agenda. Weitere sehr erfolgreiche Tumorboards zum Urothel‑, Nierenzell- sowie Hoden- und Peniskarzinom und erstmals auch ein molekulares Tumorboard sollten folgen und stärkten den Programmschwerpunkt Uro-Onkologie. Hier sorgten onkolytische Viren als künftig wichtige onkologische Behandlungsoption im Rahmen der Immuntherapie für Schlagzeilen in der Fachpresse.


Prominente Stimmen im Plenum des Präsidenten
Rappelvolle Gänge und Menschenmengen in der Industrieausstellung galt es, auf dem Weg zum Plenum des Präsidenten zu durchqueren, das traditionell einen hochgeschätzten Blick über den urologischen Tellerrand ermöglicht. Gemäß seinem Kongressmotto stellte Prof. Gschwend das Wissen, den rasanten Wissenszuwachs, die Evidenz und medizinische Innovationen in den Mittelpunkt seiner Begrüßung, machte aber zugleich deutlich, dass es für einen guten Arzt mehr als das benötige. „Der Arzt ist sich bewusst, dass seine Kunst in der Wissenschaft gründet und dass Vertrauen von Mensch zu Mensch eine der wichtigsten Kräfte im Heilungsprozess ist. Der Arzt ist also nicht nur ein Mechaniker, der am Menschen arbeitet, sondern er ist auch ein Mensch, der einem anderen Menschen begegnet“, so der Kongresspräsident in Anlehnung an den bedeutendenPhilosophen und PsychiaterKarl Theodor Jaspers.

Wissen aus jüngster Vergangenheit hielt Prof. em. Dr. med. Dr. h.c. Richard Hautmann als einer der letzten Zeitzeugen in seinem Vortrag über die Hintergründe von „40 Jahren Ileum-Neoblase“ lebendig. Er gilt als einer der in Deutschland und international bekanntesten und meistbeachteten Urologen, der die Ileum-Neoblase nach Hautmann entwickelte und es erstmals ermöglichte, auf ein Stoma zu verzichten.

KI verständlich erklärt

Unserem Wissen über die Welt der Daten, Digitalisierung und KI in unserem Alltag half Gastredner Christian Baudis auf ungeahnte Sprünge. Seine Botschaft: KI basiere auf der Verarbeitung und Regressionsanalyse von Ex-post-Daten und werde deshalb den Menschen nicht ersetzen. In der Medizin könne sie, nach Worten des ehemaligen Google-Deutschlandchefs, von Ärzten als Assistenzsystem für eine Zweitmeinung genutzt werden. Ein spannender Vortrag, in dem „die Dinge endlich einmal verständlich erklärt und eingeordnet wurden“, so ein treffender Kommentar aus dem Auditorium. Wie es um den Datenschatz in der Urologie steht und wohin die interdisziplinäre Reise führt, zeigte in Leipzig übrigens das höchstinformative Forum 31 zur Digitalisierung in der Medizin – soweit ein letzter Tipp in Sachen DGU on Demand.

Im Plenum des Präsidenten ging weiter es mit Prof. Dr. Ottmar Edenhofer, Direktor und Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Der renommierte Wissenschaftler und Politikberater thematisierte die ökonomischen Herausforderungen des Klimawandels und hielt fest: Klimapolitik sei im Kern nicht Umweltpolitik, sondern Teil der staatlichen Daseinsvorsorge und der Daseinssicherung für künftige Generationen. Unbegrenzter Klimawandel erzeuge Schäden, die weit über das hinausgehen, was uns die Klimapolitik heute koste. Um die Klimaziele zu erreichen, brauche es künftig sogenannte Netto-Negativ-Emissionen und für den nötigen Strukturbruch die richtigen politischen Instrumente - nicht Verbote könnten alte Technologien verdrängen, vielmehr bedürfe es einer effektiven CO2-Bepreisung.
Vorstandswahlen: Burger neuer DGU-Generalsekretär, Michel zum zweiten Vizepräsidenten gewählt

Innovationen, aber auch notwendige berufspolitische Diskussionen um die anstehende Krankenhausreform, Ambulantisierung und urologische Hybrid-DRG’s bestimmten den 76. DGU-Kongress. Leipzig markiert zudem einen Wechsel an der Spitze der Fachgesellschaft. Auf der DGU-Mitgliederversammlung wurde Prof. Dr. med. Maximilian Burger, Regensburg, zum neuen Generalsekretär und Sprecher des Vorstands gewählt. Prof. Dr. Maurice Stephan Michel, Mannheim, führte die Fachgesellschaft acht Jahre an und schied in Leipzig mit Erreichen des Endes der satzungsgemäßen Amtszeit aus dem Amt als Generalsekretär aus.
Unter Michels Ägide entwickelte sich die DGU zu Europas größter nationaler urologischer Fachgesellschaft mit nunmehr rund 7700 Mitgliedern und zu einem beratenden Partner der Gesundheitspolitik. Prof. Michel verantwortete wegweisende Entscheidungen für die Zukunft der DGU und der deutschen Urologie wie die Gründung der DGU Akademie GmbH und der Urologischen Stiftung Gesundheit, die Etablierung des Weiterbildungsprogramms WECU, die Stärkung der Leitlinienarbeit oder die Bestellung eines medizinischen Geschäftsführers. Die Mitgliederversammlung in Leipzig würdigte Michels Verdienste mit minutenlangem Applaus. Dem DGU-Vorstand bleibt er dennoch erhalten: Prof. Michel wurde zum 2. Vizepräsidenten gewählt; er wird damit im Amtsjahr 2025/26 zunächst 1. Vizepräsident und im Amtsjahr 2026/2027 Präsident der DGU sein und im Herbst 2027 den Jahreskongress ausrichten.
Zum Nachfolger des bisherigen Ressortleiters Forschungsförderung, Prof. Dr. Axel Haferkamp, wurde turnusgemäß Prof. Dr. med. Christian Thomas, Dresden, gewählt.
79. DGU-Kongress in Co-Präsidentschaft

Mit Blick auf den 79. Kongress der Fachgesellschaft hatte der scheidende Generalsekretär in seiner Ansprache im Plenum des Präsidenten noch eine veritable Überraschung parat: Mit dem Votum der Mitgliederversammlung wird er den DGU-Kongress 2027 in der Messe in Frankfurt am Main erstmals gemeinsam mit einem niedergelassenen Co-Kongresspräsidenten ausrichten – an seiner Seite der ehemalige DGU-Vorstand Dr. med. Thomas Speck, Berlin. Damit nimmt Michel eine weitere Weichenstellung in der Fachgesellschaft vor und setzt angesichts epochaler Veränderungen im Gesundheitswesen und in der urologischen Versorgung ein starkes Zeichen, um Praxisurologie und Klinikurologie künftig noch enger zu verzahnen.
Ehrungen und Preise
Ehrungen und Preise wurden auf dem 76. DGU-Kongress natürlich auch vergeben: Mit der höchsten Auszeichnung der Deutschen Gesellschaft für Urologie e.V., der Maximilian Nitze-Medaille für besondere Verdienste für das Fach Urologie, wurde in Leipzig DGU-Pastpräsident Prof. Dr. med. Arnulf Stenzl, Tübingen, geehrt. Den Maximilian Nitze-Preis als höchste wissenschaftliche Auszeichnung der Fachgesellschaft erhielt PD Dr. med. Niklas Klümper, Bonn. Der Medienpreises Urologie 2024 ging an Heiko Gogolin vom Creator-Kollektiv Rocket Beans TV für Folge 495 der Video-Podcast-Reihe Almost Daily mit dem Titel „Bin ich normal? Urologie-Sprechstunde“. Tabus und Scham gibt es in dieser besonderen Konsultation mit der Hamburger Urologin Dr. Sarah Furchert nicht, dafür jede Menge Informationen über die Urologie und Antworten auf vermeintlich peinliche Fragen.




Beste Werbung für die Urologie gelang der DGU erneut mit ihrem Schülerinnen- und Schülertag sowie dem Studierendentag, auf dem einmal mehr ein Op-Roboter Lust auf das moderne technikaffine Fach machte. Die technologische Zukunft der Urologie war in der begleitenden Industrieausstellung im CCL hautnah zu erleben, wo ein Roboter namens „Uri Bot“ die Besuchenden begrüßte und Augmented Reality-Brillen begeisterten. Den angeschlossenen Kongress für die urologischen Pflege- und Assistenzberufe besuchten, sehr zur Freude des um Multiprofessionalität bemühten Kongresspräsidenten, fast 800 Teilnehmende.

Die weltweit drittgrößte urologische Fachtagung, die erneut vom Interplan-Team um Tanja Langmesser perfekt umgesetzt wurde, endete nach vier Kongresstagen inwertschätzender und freundschaftlicher Atmosphäre am Samstag, den 28. September 2024 mit spannenden State-of-the Art-Vorträgen. Den Schlusspunkt setzte die traditionelle Amtsübergabe: Prof. Gschwend übergab die Insignien der Präsidentschaft an Prof. Dr. med. Bernd Wullich, Erlangen, der den 77. DGU-Kongress vom 17. bis 20. September 2025 im Congress Center Hamburg leiten wird.

