Nachhaltigkeit als Pflicht und Aufgabe Parlamentarischer Abend der DGU am 9. Juli 2025
Berlin. Wie nachhaltig ist die Urologie und wie nachhaltig kann sie werden? Diese Frage stand im Zentrum des Parlamentarischen Abends der Deutschen Gesellschaft für Urologie, der am 9. Juli 2025 unter der Schirmherrschaft von Matthias Hauer MdB in der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin stattfand. Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Urologie und Industrie diskutierten über Versorgung, Verantwortung und politische Rahmenbedingungen.
Fünf Impulse bildeten den Auftakt, moderiert von Annika de Buhr. Den Anfang machte Univ.-Prof. Dr. Maximilian Burger, Generalsekretär der DGU, mit einer klinischen Innenansicht. In seiner Klinik ließ er 35 Urologinnen und Urologen anonym abstimmen, ob sie Nachhaltigkeit in der stationären Versorgung für ein wichtiges Thema halten. Die Mehrheit antwortete mit Ja. Für Burger war das weniger eine wissenschaftliche Erhebung als vielmehr ein Beleg dafür, dass das Thema längst im Berufsalltag angekommen ist. Anhand eines einfachen Beispiels, einer Prostataoperation, zeigte er, wie groß der ökologische Fußabdruck im Klinikalltag ist. Vier Müllsäcke pro Eingriff, rund 1,5 Kilogramm Abfall pro Patient und Tag, hochgerechnet 4000 Tonnen im Jahr, die zum großen Teil verbrannt werden und insgesamt zur ohnehin schlechten Klimabilanz der meisten Krankenhausgebäude dazukommen. Es sei unstrittig, dass das Gesundheitswesen einen erheblichen Beitrag zum CO2 Ausstoß leiste. Der 129. Deutsche Ärztetag 2025 hat Klimaschutz zur ärztlichen Pflichtaufgabe erklärt, mit Maßnahmen wie klimaneutralem Klinikbau, dem Verzicht auf klimaschädliche Narkosegase oder der Berücksichtigung ökologischer Kriterien in Leitlinien. Zusätzlich verwies Burger auf die zwölfte Stellungnahme des ExpertInnenrats der Bundesregierung, die eine nationale Emissionsstrategie mit Klimaziel sowie Monitoring und Berichtspflichten empfiehlt. Burger sagte: Wir wissen, dass wir ein Problem haben und dass wir es angehen müssen.
Auch Dr. Axel Belusa, Präsident des Berufsverbands der Deutschen Urologie (BvDU), sprach über Verantwortung aus Sicht der niedergelassenen Urologie. In Chemnitz, dem Geburtsort von Hans Carl von Carlowitz, sei Nachhaltigkeit kein abstraktes Konzept, sondern gelebter Anspruch. Von Carlowitz habe bereits im 18. Jahrhundert gefordert, dass nur so viele Ressourcen genutzt werden sollten, wie nachwachsen oder sich regenerieren können. Belusa zeigte, dass es in vielen Praxen bereits erste Ansätze gibt, etwa beim Energiesparen, bei Mülltrennung, beim Verzicht auf Einwegmaterial, durch Fahrradleasing oder digitale Prozesse. Diese Beispiele stehen jedoch weniger für einen strukturierten Wandel als für individuelle Initiativen, die bislang kaum systematisch gefördert werden. 16 Milliarden Einmalhandschuhe verbrauche das deutsche Gesundheitswesen jedes Jahr. Allein deren Entsorgung fülle 900 Müllwagen. In einer Umfrage des BvDU aus 2023 gaben zwei Drittel der befragten Praxen an, bereits Maßnahmen zur Müllvermeidung und Energieeinsparung ergriffen zu haben. Doch Belusa betonte auch die Grenzen. Kein einziger Einmalhandschuh werde in Europa hergestellt. Der Preis entscheidet und verdrängt Nachhaltigkeit, wenn Lieferketten instabil oder wirtschaftlich nicht tragfähig sind. Man muss es wollen und bereit sein, es zu bezahlen.
Der Bundestagsabgeordnete Johannes Wagner (Bündnis 90/Die Grünen) ist Arzt und Mitglied im parlamentarischen Gesundheitsausschuss und betonte, wie stark Klimaschutz und Gesundheit zusammenhängen. 2000 Hitzetote in einer einzigen Welle, steigende Infektionsraten, Ernteausfälle, Lieferengpässe, das alles wirke sich auf die Versorgung aus. Für Wagner ist klar: Gesundheitspolitik braucht Klimapolitik, und Klimapolitik braucht Gesundheitsargumente. Es gehe nicht um Symbolpolitik, sondern um die Lebensrealität von Patientinnen und Patienten. Zugleich mahnte er verlässliche Förderbedingungen an, besonders mit Blick auf ambulante Strukturen und digitale Innovationen. Er erinnerte auch an die Maskenhersteller in Deutschland, die in der Pandemie mit öffentlichen Mitteln gefördert wurden und heute nicht mehr existieren.
In der anschließenden Diskussion machten Burger, Belusa und Wagner deutlich, dass mehr Bewusstsein allein nicht reiche. Es brauche politische Rahmen, konkrete Anreize und die Bereitschaft, Prioritäten zu verschieben. Belusa wies darauf hin, dass bestehende Förderprogramme Praxen oft gar nicht erreichen. Es brauche Entlastungsinstrumente, die auch den ambulanten Bereich berücksichtigen. Burger betonte außerdem, dass die CO2-Bepreisung der wirkungsvollste Hebel sei. Nein, davon gehen wir nicht mehr zurück.
Dr. Theresa Ahrens vom Fraunhofer IESE ordnete das Thema digital ein. Sie stellte Projekte vor, die Prozesse effizienter machen sollen, etwa KI-gestützte Arztbriefauswertung, interoperable IT-Systeme oder digitale Zwillinge. Besonders spannend sei die Modellierung individueller Krankheitsverläufe mit Hilfe digitaler Zwillinge. Auch bei Antibiotikaresistenzen, so Ahrens, könnten digitale Ansätze künftig eine Rolle spielen. Digitalisierung, so ihre These, könne helfen, Ressourcen zu sparen, wenn man Energieverbrauch, Datenqualität und soziale Auswirkungen mitdenke. Auch in der Programmierung gebe es Unterschiede. Manche Sprachen verbrauchen weniger Strom als andere. Digital sei kein Selbstzweck, sondern müsse nachhaltig gedacht werden.
DGU-Präsident Univ. Prof. Dr. Bernd Wullich stellte die Nachhaltigkeitsstrategie der Fachgesellschaft vor. Die DGU hat eine AG Nachhaltigkeit und Ökonomie gegründet, arbeitet mit KLUG und dem Fraunhofer Institut zusammen, führt eine Mitgliederbefragung durch und plant Pilotprojekte ab 2027. Ziel sei es, Strukturen zu schaffen, um für Urologen und Urologinnen relevantes Wissen zu bündeln, dieses Wissen zu verbreiten und Veränderungen konkret umzusetzen in Praxen, Kliniken, DGU-Kongressen und der DGU selbst. Dabei reichen die Themenfelder von Single Use vs. Multi Use-Endoskope über Müllreduktion und -trennung sowie Lieferketten bis hin zuCO2-Messungen in Modellpraxen. Aus solchen Analysen wird die Evidenz gewonnen, um das Veränderungspotenzial in unseren Kliniken und Praxen abzuleiten und den Impact von Maßnahmen zu erfassen. All das ist aber nur leistbar zusammen mit externen Partnern, die uns als DGU beraten und in der Umsetzung unterstützen. Neben dem schon erwähnten Fraunhofer IESE ist das die Basler Beratungsfirma Prof. Bruhn und Partner AG.
In der Diskussion wurde deutlich, dass eine halbe Stelle für Nachhaltigkeit in einer Klinik kaum ausreiche, um strukturelle Veränderungen zu tragen. Auch die Frage, wie Mobilität in der Fläche gesichert werden könne, stelle sich mit zunehmender Klinikzentralisierung neu und sei Teil der Nachhaltigkeitsdebatte. Deutschland gibt rund 500 Milliarden Euro jährlich für Gesundheit aus, mehr als jedes andere Land in Europa. Entscheidend ist daher nicht in erster Linie die Höhe der Mittel, sondern wie sie verteilt werden.
Oder wie Burger es auf den Punkt brachte: Wir können und sollen nicht mehr Geld fordern. Wir müssen es klüger verteilen.