Im Zeichen der sektorenübergreifenden Versorgung: Parlamentarischer Abend 2022

Der Parlamentarische Abend der Deutschen Gesellschaft für Urologie e. V. hat Tradition: Ob evidenzbasierte Medizin, Organspende oder künstliche Intelligenz in der Medizin – die wissenschaftliche Fachgesellschaft bringt in diesem Format seit Jahren gesundheitspolitisch relevante Themen vor hochkarätigem Auditorium zur Diskussion.

Nach zwei Jahren pandemie-bedingter Pause konnte die DGU das politische Forum jüngst fortführen und am 14. Juni 2022 im Hotel Adlon in Berlin zahlreiche Vertreter aus Politik und Gesundheitswesen, der befreundeten Fachgesellschaften und der Selbsthilfe, große Player aus der Gesundheitswirtschaft sowie Medienvertreter begrüßen. Mit der sektorübergreifenden Versorgung hob die Fachgesellschaft eines der brennendsten gesundheitspolitischen Themen dieser Tage auf die Agenda.

Weil sie immer schon aktuell war, aktuell ist und in den nächsten Jahren besonders wichtig sein wird, habe die DGU die sektorenübergreifende Versorgung zum Thema dieses Abends gemacht, so Pressesprecher Prof. Dr. Christian Wülfing, der das Auditorium begrüßte und durch die Veranstaltung führte. Zu den rund 50 geladenen Gästen zählten hochrangige Repräsentanten wichtiger Institutionen, darunter der Vorstandsvorsitzende des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland, Dr. Dominik Graf von Stillfried, sowie Dipl.-Kfm. Björn Broge, Geschäftsführer des aQua - Instituts für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH, außerdem Dr. Johannes Bruns, Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft, sowie Dr. Michael Meyer aus dem Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Integrierte Versorgung im Gesundheitswesen e. V.

 

Fünf spannende Impulsvorträge beleuchteten „Herausforderungen und mögliche Ansätze der sektorenübergreifenden Versorgung (süV) am Beispiel des Zukunftsfaches Urologie“. DGU-Präsidentin Prof. Dr. Margit Fisch gab zu Beginn eine Standortbestimmung der Urologie, die als Fach absolut im Trend liegt. Doch obwohl die Zahl der Urologinnen und Urologinnen in den letzten Jahren um 12,9 Prozent zugenommen hat, stehe das Fach vor großen Aufgaben. Denn der Versorgungszuwachs durch die Überalterung der Bevölkerung und die Berentung vieler Kolleginnen und Kollegen übersteige die Zunahme junger Ärztinnen und Ärzte. Dass die junge Generation vor allem Familie und Beruf vereinbaren will und der stark steigende Anteil von Urologinnen aufgrund der Feminisierung der Medizin mit dem Trend zu mehr Teilzeitanstellung einhergeht, verstärke den Mangel an Arztzeit. „Die Urologie ist also ganz klar ein Zukunftsfach, aber wir haben in der Zukunft mit extremen Herausforderungen zu arbeiten“, sagte die DGU-Präsidentin. Nachwuchsakquise etwa mit dem Weiterbildungsprogramm WECU, intelligente Arbeitsmodelle, Frauenförderung und der Ausbau der transsektoralen Versorgung seien daher unabdingbar.

Gastredner Dr. Matthias Gruhl, Staatsrat a.D. der Hamburger Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz, blickte auf die aktuellen politischen Perspektiven für die sektorenübergreifende Versorgung, die im Koalitionsvertrag zwar verankert, aber ohne politische Roadmap sei. So wäre nicht klar, ob und in welcher Form die süV komme. Die Optionen reichten von einer Umverteilung in den bestehenden Sektoren zum Beispiel durch den neuen AOP-Katalog, über die Schaffung eines neuen gemeinsamen Sektorsfür die süVmit sogenannten Hybrid-DRGs, bis zur Neuordnung der bestehenden Sektoren mit Begriffen wie Regionalisierung, integrierte Gesundheitszentren oder kommunal getragene MVZ und Gesundheitsregionen. Das Primat der ambulanten Medizin wäre allerdings durchgängig zu erfüllen und auch die Stärkung regionaler Ansätze stünde wahrscheinlich ganz oben auf der politischen Agenda.    

Dass intersektorale Versorgung in der Urologie bereits erfolgreich gelebt wird, zeigte Dr. Andreas W. Schneider, Vorsitzender der AG sektorenübergreifende fachärztliche urologische Versorgung der DGU und Präsident des Bundesverbands der Belegärzte und Belegkrankenhäuser, am Beispiel eines funktionierenden Modells im niedersächsischen Landkreis Harburg mit mehr als 250.000 Einwohnern, wo es innerhalb der bestehenden Strukturen gelingt, mit sechs urologischen Belegärzten an drei Praxis-Standorten im Verbund mit zwei umliegenden Krankenhäusern eine sektorenübergreifende fachärztliche Versorgung durch kooperative Strukturen zu leisten.

Prof. Dr. Björn Volkmer, Vorsitzender der AG Leitende Krankenhausärzte der DGU, unterstrich in seinem Vortrag die Bedeutung der Ambulantisierung der operativen Medizin zur wirksamen Kostenreduzierung im Gesundheitswesen, betonte aber zugleich die Notwendigkeit einer gerechten Honorierung und einer neuen Infrastruktur für „low care“ oder „optional care“, um die Sicherheit der Patientinnen und Patienten zu gewährleisten.    

Dass sich die Urologie besonders gut für die süV eigene, hob Prof. Dr. Maurice Stephan Michel, DGU-Generalsekretär und Sprecher des Vorstands, in seinem Vortrag hervor. Die Fachgesellschaft habe mit der Harmonisierung der Behandlungs- und Qualitätsstandards durch ihr umfängliches Leitlinienangebot bereits fundamentale Bausteine für eine transsektorale Versorgung gelegt. „Die DGU ist eine der Fachgesellschaften mit den meisten Leitlinien. Insgesamt sind 23 Leitlinien unter der Federführung der DGU entstanden und an 34 Leitlinien ist die DGU beteiligt gewesen. Das garantiert im Zusammenspiel zwischen ambulanter und stationärer Urologie eine sehr hohe Qualität“, so Prof. Michel in Berlin. Weichenstellungen bedürfe es bei der Digitalisierung, allen voran der elektronischen Patientenakte, bei der Vereinheitlichung der Dokumentationssysteme und damit der Kommunikation zwischen Klinik und Praxis sowie bei der Überwindung von Datenschutzhemmnissen als Voraussetzung für eine kohärente medizinische Versorgung. 

Eingedenk der abschließenden, mit offenen Worten geführten Diskussion unter der Moderation des Past-Präsidenten der DGU, Prof. Dr. Paolo Fornara, gelang eine höchst informative Veranstaltung über das komplexe Thema, auf der Politik-Profi Gruhl der DGU attestierte, für die Herausforderungen der süV strategisch gut aufgestellt zu sein – nicht zuletzt aufgrund ihrer Bereitschaft, Veränderungen anzunehmen und aktiv zu gestalten.

In diesem Sinne kann die urologische Fachgesellschaft mit ihrem Parlamentarischen Abend 2022 erneut einen gelungenen Beitrag zur Meinungsbildung in der Hauptstadt verbuchen.

Text/Fotos: DGU-Pressestelle

Autor: |Veröffentlicht am 28. Juni 2022|Aktualisiert am 21. März 2024