Die DGU-Kolumne 10/2019

Kommentar

d-uo macht Versorgungsforschung!

14.11.2019. Nach der Definition von Pfaff und Schrappe ist Versorgungsforschung (VF) ein fachübergreifendes Forschungsgebiet, welches die gesundheitsrelevante Versorgung von Einzelnen und der Bevölkerung unter Alltagsbedingungen, also die „letzte Meile“ des Gesundheitssystems untersucht. Die VF adressiert also vereinfacht die Fragen, ob eine Intervention den in einer Zulassungsstudie deklarierten Nutzen in der Normalpopulation tatsächlich erbringt und ob dieser Nutzen seinen Preis wert ist. Von retrospektiven Datenanalysen über prospektive nicht-interventionelle Studien, Beobachtungsstudien bis hin zu randomisierten kontrollierten Studien sollte laut der o.g. Experten jedoch auch in der VF stets die für die spezifische Fragestellung adäquate Methode verwendet werden. weiter

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Dr. med. Wolfgang Bühmann
Facharzt für Urologie - Andrologie
Med.Tumortherapie - Qualitätsmanagement

Terpstig 55, 25980 Sylt OT Morsum
Tel.: 04651-8364818, Fax 04651-8364836
 E-Mail: post(at)urologie-sylt.de

Autor: |Veröffentlicht am 20. November 2019|Aktualisiert am 21. März 2024

Projekt „Versorgungsforschung“ - Bestattung bereits vor der Taufe?

20.10.2019. Versorgung Kranker, liebe Kolleginnen und Kollegen,

entspricht dem natürlichen Fokus unserer Arbeit. Warum bedarf es der Erforschung dessen, was wir täglich tun? Aufgrund eines unseligen Zeitgeistes genießt unsere ärztliche Erfahrung kaum noch Vertrauen. Nur, was in endlosen Zahlenkolonnen auf statistischen Signifikanzniveau schwarz auf weiss geschrieben steht, scheint Medizin zu sein und wird götzengleich verehrt. Schade.

Eine neue Behandlungsidee wie auch jedes neue Medikament werden im Rahmen einer RCT („randomised controlled trial“) unter Ausschluss jedes möglichen irritierenden Einflusses externer Faktoren geprüft und für geeignet befunden - oder eben nicht;  soweit, so richtig. Leider oder gottlob sind unsere Patienten keine selektiv monomorbide gezüchteten Laborratten, sondern komplexe, mit diversen „Störfaktoren“ behaftete Wesen, die wir dennoch möglichst gesund machen oder erhalten sollen. Somit gilt es, alle diese im Reinfeld-Labor geprüften Methoden und Substanzen zum maximalen Nutzen bei minimalem Schaden an Patienten anzuwenden, die eben fast nie in ein geglättetes Studiendesign passen.

Versorgungsforschung heisst nichts weiter, als zu prüfen, was wir warum tun, was dabei herauskommt und was es kostet.  Warum ist das nötig? Weil die selbstherrlichen Verteiler des Versichertenvermögens uns unterstellen, wir würden die tägliche Milliarde GKV-Taler zum Nachteil der Patienten verschleudern. So einfach ist das. In Afrika Malaria zu heilen, durch Hunger und Durst lebensbedrohlich erkrankten Kindern zu helfen, benötigt keine Versorgungsforschung, sondern „nur“ Ärzte, Pflege, Hygiene und Medikamente.  Die Erfolge sind enorm, gemessen an den gewaltigen Anstrengungen und Prüforgien, um Patienten mit einem Tumorleiden in Deutschland einen zweikommafünfwöchigen „Gewinn“ an progressionsfreier Überlebenszeit  zu bescheren. Perversion hat mehrere Gesichter, nicht selten auch in Form einer Fratze.

Wenn Ferrari mit stupender Ingenieurskunst einen maximal windschnittigen, schnellen und zuverlässigen neuen Renner auf die Piste stellt, ist das Ergebnis einer RCT. Allein damit gewinnen sie  jedoch kein einziges Rennen. Erst wenn Sebastian Vettels Hintern sich im Sitz wohlfühlt,  seine Seele „Bock auf die Kiste hat“ und er nicht beim Überfahren einer Münze ins Kiesbett fliegt, sehen sie als Erste die Zielflagge – das ist Versorgungsforschung.

„Datengold schürfen“, Big Data und Digital Health, die neuen Ikonen ewiger Gesundheit, erinnern mich eher an den Goldrausch am Klondike River oder ans Libretto von „Star Wars“ als an zielführende Massnahmen zur Verbesserung der Gesundheit.

Unsere beiden Verbände – DGU und Berufsverband – haben sich aktuell in trauter Einigkeit getrennt mit zwei konkurrierenden Datensammelclubs verlobt, um die in Klinik und Praxis schlummernden Datenschätze zu heben: du-o (Nachfolger des IQUO) und DIFA (uneheliche Tochter des SpiFa). Ziel soll es sein, versorgungsrelevante Patientendaten aus Kliniken und Praxen in appetitliche Torten zu backen, um sie dann zu versilbern.  Köder zur Beteiligung  sind beidseits die Entlastung von mühsamer individueller Pflichteingabe in die Krebsregister. Dafür gibt’s bei einem Club die 18 €, die ohnehin ausgelobt sind, beim zweiten Club 36 €. Als Eintritt zum Monopoly zahlen wir bei Club A 400, bei Club B 700 € Eintritt, mit der nebulösen Aussicht auf Refinanzierung oder gar Gewinnbeteiligung. Und wie wird Gewinn erzielt ? Bei geneigtem Lesen stecken dahinter „Versorgungsstudien“, unterstützt von Pharmaunternehmen – das bedeutet nichts Anderes, als Daten an die Industrie zu verkaufen. Genau das ist keine Versorgungsforschung – Thema verfehlt.

Um das klarzustellen: die urologischen „Aufseher“ beider Unternehmen sind ehrenwerte und seriöse Urologen – dennoch kann es doch nur ein schlechter Scherz sein, die möglichen Datenmengen schon initial durch zwei Wettbewerber zu minimieren und dadurch den möglichen Effekt zu pulverisieren, indem beide sich eifersüchtig belauern und ihre Claims meistbietend versteigern. Wem soll ich beitreten, wem soll ich meine Daten anvertrauen?  

Statt den unverschämten Korruptionsparagraphen durch Verweigerung abzuschaffen, gründen sich komplizierte Geldwaschanlagen, in die wir vorab investieren sollen. Das kenne ich nur aus italienischen oder chinesischen Restaurants, in denen die Ndrangheta bzw. die Triaden ihr kreativ erwirtschaftetes Vermögen reinigen. Wenn unsere Verbände an ihre Idee glauben würden, würden sie die von uns komfortabel gefütterten Mitgliedskonten zur Vorabfinanzierung nutzen, bis klar ist, ob das Ganze ein tragfähiges Modell wird oder nicht – das hätte vertrauensbildende Signalwirkung. Wenn Gewinn fliesst, könnte man eine Verwaltungsgebühr davon abziehen statt die Teilnehmer für die Mehrarbeit der Dateneingabe bezahlen zu lassen.

Rumpelstilzchen und Struwwelpeter belasten mit ihren Befindlichkeiten nunmehr direkt ein grundsätzlich sinnvolles Projekt – das sollte zeitnah gestoppt und korrigiert werden. Gentlemen bereinigen ihre Differenzen diskret im Morgennebel und treten anschliessend zum Wohle des Faches in Einigkeit nebeneinander an die Sonne – oder bleiben im kühlen Sumpf liegen.

Meine Empfehlungen: es ist sicherzustellen, dass die zu erhebenden Daten ohne zusätzlichen Eingabeaufwand direkt aus der Praxis-/Klinik-Software zu extrahieren sind – andernfalls wird sich die Akzeptanz in engen Grenzen halten.

Um relevante Datenmengen rekrutieren zu können, gibt es nur ein System statt zweier verschiedener Köder, die nur den Anglern schmecken, nicht jedoch den Fischen, die anbeissen sollen.

Die Daten werden keinesfalls an kommerzielle Interessenten verhökert, sondern lediglich genutzt, um schlüssig zu beweisen,  welches persönlichen und strukturellen Aufwandes urologische Patienten bedürfen – als Faustpfand gegenüber den Kostenträgern und der Politik.

Ziel darf ausschliesslich sein, angemessene Ressourcen für die optimale Behandlung (Diagnostik, konservative/interventionelle Therapie, Medikamente und pflegerische Versorgung) sowie eine würdige Vergütung von Ärzten und Mitarbeitern zu gewährleisten.

Alles Andere ist unethisch, unredlich, sinnfrei und damit angreifbar. Wenn wir auf dieses Niveau sinken, bestatten wir eine zielorientierte Versorgungsforschung noch vor der Taufe. Warum sollten wir diesen unnötigen Fehler begehen? Lassen wir das.

Herzlich

Ihr

Wolfgang Bühmann