Die DGU-Kolumne 6/2019

Die neue DGU-Kolumne

Schwarz-weiß trifft es selten, in der Regel braucht es eine differenzierte Meinung, gerne auch eine Prise Humor und manchmal muss der Daumen in die Wunde – auch in der Urologie. Deshalb spitzt Dr. Wolfgang Bühmann in der „DGU-Uro-Kolumne“ neuerdings den Stift und nimmt in dieser neuen Rubrik des Urologenportals regelmäßig aktuelle Themen ins Visier.

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Dr. med. Wolfgang Bühmann
Facharzt für Urologie - Andrologie
Med.Tumortherapie - Qualitätsmanagement

Terpstig 55, 25980 Sylt OT Morsum
Tel.: 04651-8364818, Fax 04651-8364836
 E-Mail: post(at)urologie-sylt.de

Autor: |Veröffentlicht am 22. Juli 2019|Aktualisiert am 24. Mai 2023

Digital – was ist das? Die Demographie fordert uns: Deutschlands Urologie braucht "echte" Telemedizin

20.06.2019. „Digital Health“, „Big Data“, „Dr. Google“… schwingen sich als uncharmante neusprachliche Worthülsen auf, den Menschen nun endlich frei von ärztlichen Fehlern ewige Gesundheit zu bescheren. Und wir Ärzte ? Wir lassen es einmal mehr zu, weil wir es weder verstehen noch ernst nehmen. Welch ein törichter Unsinn – beides. Die meisten Akteure im Gesundheitswesen sind frei von Kenntnis dieses Zauberwortes: „Digital“= ein nicht analoges, diskretes oder abgestuftes Signal“.

Wer kann das deuten ? Ich nicht. Ich bin Arzt. Ohne mich ist ein Roboter ein wenig ästhetisches, lebloses Monstrum, das nichts kann. Erst die gut komponierte Mischung aus Empathie, Empirie und Evidenz des Arztes, der ihm Leben einhaucht, macht ihn zum Helfer, der haptische und optische Defizite teilweise kompensieren kann. Mehr vermag er denn auch nicht – pardon an alle „Robot-Freaks“ unter uns.

Wozu also benötigen wir digitale Medizin wirklich?

Die Patienten altern, die Ärzte altern. Mehr multimorbide Patienten stehen weniger Ärzten mit weniger Ressourcen gegenüber. Eine Aussicht auf Besserung steht in den Sternen. Meine Prognose: weniger Nachwuchs durch schlechte Arbeitsbedingungen, zudem Abwanderung von Ärzten in andere Länder oder andere Berufsebenen. Zentralisierung in Metropolregionen und Bildung größerer Gemeinschaften durch sich ändernde Ansprüche an die Arbeits-Lebens-Balance sowie ökonomisch motivierte Krankenhausschließungen führen unweigerlich zum Abbau dezentraler Versorgung, die physisch nicht kompensierbar sein wird. Der wahrhaft unwürdige, beschämende Umgang mit unseren Pflegekräften im reichsten Land der Welt potenziert das Problem.

Seit vielen Jahren dümpelt Deutschland lustlos und halbherzig in einem Frühstadium medizinischer Digitalisierung, während unser eher konservatives, im Gesundheitswesen dafür dynamisch-innovatives Nachbarland Schweiz seit 17 Jahren Telemedizin auf höchstem Niveau der Qualitätssicherung in den Behandlungsalltag integriert hat und IT-Weltkonzerne das Gesundheitswesen digital unterwandern. Warum ? Wir alle haben mehr Patienten, als es gut tut, und werden immer weniger. Dennoch herrscht eine irrationale Angst vor dem Verlust auch nur eines Patienten an einen Kollegen – gleich, ob analog oder digital.

Die zarten Pflänzchen deutscher Fernbehandlung beschränken sich auf ein Feigenblatt: kein Rezept, keine AU-Bescheinigung, keine abschließende telemedizinische Behandlung werden geduldet – mithin nur das Alibi einer reinen Triage, wer zu welchem Arzt gehen soll. Thema verfehlt !

Wir brauchen Telemedizin als gleichwertige Säule neben der ambulanten und stationären Medizin mit allen Möglichkeiten außer den unmittelbar manuellen Prozeduren, um die demographischen Herausforderungen unserer  Zukunft bestehen zu können. Da die Patienten immer schwieriger den Weg zum Arzt finden, muss der Arzt zum Patienten kommen – zwar digital, jedoch immer persönlich – durch Sprache, Zuhören und ggf. auch Optik.

Anamnese, Diagnose durch akustisch/verbal/optische Symptomerhebung, einer ärztlichen Ur-Kunst übrigens, medikamentöse Therapie, Zweitmeinungen zu komplexen Fragestellungen, Überweisungen in Kompetenzzentren, logistische Unterstützung – jederzeit und rund um den Erdball verfügbar, reduzieren administrativ - belastenden Terror und schaffen unmittelbar wertvolle Räume in der Arzt-Patienten - Beziehung. Wie maße ich mir dieses Urteil an ? Seit drei Jahren habe ich persönlich über 6000 urologische Patienten zwischen Kuala Lumpur und San Francisco, zwischen Godthaab und Valparaiso, zwischen Mumbai und Melbourne telemedizinisch beraten und behandelt – daraus ist die Überzeugung gewachsen, die durch gesellschaftliche, politische, jedoch auch ärztlich- berufspolitische Fehlentscheidungen entstandenen Defizite digital-telemedizinisch kompensieren zu helfen.

Was hat das mit Urologie zu tun ? Unser Fach ist überschaubar und gut strukturiert – und die Urologen stehen innovativ in der ersten Reihe.

Wir sind – wie so oft – ganz vorne: in keiner anderen Fachgruppe klafft die Schere zwischen Anspruch und Wirklichkeit so schnell und so heftig - in den nächsten zehn Jahren 20% mehr Patienten und 20% weniger Urologen sind nicht einmal durch ein Wunder kompensierbar. Deshalb brauchen wir die Telemedizin, allerdings  nicht durch geklonte, medizinisch angebrütete Einmal-Aliens in steriler Aufreisspackung gestaltet, sondern durch erfahrene Ärzte zum Anfassen.

Digitale Medizin darf lediglich Helfer, Unterstützer und Entlaster sein – niemals Entscheider. Dazu bedarf es der drei wichtigsten ärztlichen Fähigkeiten: Empathie, Empirie und Evidenz. Das sollten wir begreifen und konsequent, kompetent und human umsetzen – allerdings mit Vollgas.

Herzlich

Ihr

Wolfgang Bühmann​