Die DGU Kolumne 03/2020

Autor: |Veröffentlicht am 20. April 2020|Aktualisiert am 21. März 2024

Sternstunde der Menschlichkeit – Urteil zur Sterbehilfe

20.03.2020. Am 26.02.2020 hat das Bundesverfassungsgericht den Paragraphen 217 des Strafgesetzbuches für nichtig erklärt: das 2015 eingeführte Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe verstößt gegen das Grundgesetz.

Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben besteht in jeder Lebensphase eines Menschen.

Sterbehilfe darf zudem nicht davon abhängig gemacht werden, ob zum Beispiel eine unheilbare Krankheit vorliege. «Wir mögen seinen Entschluss bedauern, wir dürfen alles versuchen, ihn umzustimmen, wir müssen seine freie Entscheidung aber in letzter Konsequenz akzeptieren.»

Bravo – diesen roten Roberichen gebührt hoher Respekt !

Zugegeben musste ich es mehrmals lesen, bevor ich es glauben konnte. Bisher galten Juristen für mich zwar als intelligent, verbrauchten jedoch ihr Wissen eher dazu, verbiegende Regeln zu schaffen, um Menschen in ihrem Leben durch tausende Verbote maximal einzuschränken, statt Humanität, Freiheit und Vernunft walten zu lassen; nicht zuletzt, sich über Andere zu erheben, für sich in Anspruch zu nehmen, alles besser zu wissen als der Rest und dieses nicht selten überheblich herabzudozieren – zur Klugheit fehlen ihnen häufig  Menschlichkeit und Mut.

Endlich haben sich die höchsten Repräsentanten deutscher Rechtsprechung des Grundgesetzes erinnert, des wohl besten Rechts-Kanons, den Politiker und Juristen jemals in Worte gegossen und 1948 in seltener Klarheit ausgesprochen haben, was menschlich selbstverständlich sein sollte. Ich darf zitieren:

I. Die Grundrechte

Artikel 1

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der

Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Artikel 2

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. …

Artikel 3

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen

Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Artikel 4

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

Artikel 5

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die

Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

Artikel 6

(1)Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

Punkt.

Bis auf den Kinderschutz – der hoffentlich bald Eingang findet – ist das alles, was wir brauchen. Alle weiteren Gesetze und Bestimmungen sind aus meiner Sicht verwässernde und überflüssige Garnitur, die wir einfach streichen sollten. In diesen Grundrechten ist alles formuliert, was für ein friedliches, gerechtes, respektvolles und harmonisches Zusammenleben notwendig und sinnvoll ist – ein Analogon zu den zehn Geboten. So einfach könnte es sein.

Ja, Sie warten auf die Brücke zur Urologie – bitte sehr:

Erfreulicherweise liegt es schon länger zurück – dennoch sind mir noch die Patienten präsent, die nach Eintreten fortschreitender Metastasierung ihres Prostata- oder Blasenkarzinoms einem oft quälenden Lebensende entgegensahen.

Bis in die späten 80er Jahre standen wir relativ ohnmächtig da, wenn die Knochenmetastasen vom Prostatakarzinom unerträgliche Schmerzen und Anämie hervorriefen und wir eher verzweifelt versuchten, mit einem Östrogenbombardement, sprich „Honvan-Kur“, das Ende etwas zu verzögern bzw. zu erleichtern. Beim Blasenkarzinom stellten uns häufig  lokale Progressionen mit progredienter Zerstörung der Beckenorgane vor kaum lösbare Aufgaben.

Angemessene Begleitung im Lebensende gehörte ja nicht unbedingt zur urologischen Kernkompetenz, dazu haben wir dann oft die Hausärzte gebeten. Und „Sterbehilfe“ war zudem verboten…

Durch die Entwicklung strukturierter Palliativmedizin hat sich das bereits positiv verändert, blieb jedoch bis heute mit dem Makel der „Halblegalität“ behaftet.

Gerne räume ich ein, dass ich – und hoffentlich nicht nur ich – aus meinem ethischen Selbstverständnis heraus solchen Patienten nach stillschweigender Abstimmung beim Ableben oft mehr als passiv geholfen habe. Das habe ich nie als Sterbehilfe und mich auch nie als „Gebieter“ über Leben und Tod gesehen, vielmehr als Lebenshilfe, indem ich als ihr Arzt Patienten in ihrem ungeteilten selbstbestimmten Recht auf Leben unterstütze. Das im Grundgesetz definierte Recht auf Leben umfasst nicht nur den Beginn, sondern auch das Ende des Lebens – das ist nicht nur rechtsphilosophische Amateursemantik, wie die Hüter der Verfassung nun ohne Abstriche festgeschrieben haben.

Und nun?

Es ist nicht zu erwarten, dass ab sofort scharenweise Menschen mit oder ohne unheilbarer Krankheit den eigenhändigen oder fremdunterstützten Freitod wählen, nur weil sie jetzt nicht mehr bestraft werden – welche Absurdität in sich.

Wir ÄrztInnen müssen unsere Einstellung auch nicht ändern - die eher ängstlichen Zauderer unter uns dürfen sich jetzt jedoch einer juristischen Rückenstärkung versichert wissen, ihr ärztliches Wirken nicht nur zur Lebenserhaltung um jeden Preis einzusetzen, sondern ihre Patienten ebenso in ein würdiges Ende zu begleiten.

An die vielleicht jetzt ob dieses ungehörigen Spruches der „Rechtlosigkeit“ des höchsten deutschen Gerichtes empörten, durch überdosierte Paragraphenflut verblendeten Juristen und Politiker appelliere ich: lasst diesen großen Wurf humaner Rechtsprechung einfach so stehen, ohne dieses unmissverständliche Plädoyer für Freiheit und Selbstbestimmung jedes Menschen durch Hunderte kleinteiliger juristischer Fussangeln zu verdünnen – er spricht für sich.

Nicht vergessen: keiner von uns kommt hier lebend raus … !

Herzlich

Ihr

Wolfgang Bühmann