Die DGU Kolumne 06/2020

Autor: |Veröffentlicht am 20. Juli 2020|Aktualisiert am 21. März 2024

Lothar Weißbach: „Lieber ein eckiges Etwas als ein rundes Nichts“ (Friedrich Hebbel)

Lieber Lothar,

nie war ich Dein Schüler, stehe nicht tief in Deiner Schuld, weil Du mir eine glänzende Karriere geebnet hättest und gratuliere Dir auch nicht zum Geburtstag, weil der ja letztlich nicht Dein Verdienst ist. Ebenso zähle ich nicht auf, welche akademischen Würdigungen Du erfahren durftest respektive musstest. Letztlich haben solcherlei Aufzählungen für die Leser die prickelnde Spannung eines Dia-Abends nach einem Urlaub auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Munster in der Lüneburger Heide. Dennoch besteht Anlass, Deinetwegen vom üblichen Themenkanon der Kolumne abzuweichen.

Ein Alter zu verraten, ist unschicklich. Frei nach Peter Maffay: „Ich war 28, Du warst 46 – und es war Sommer“ – 1986 übrigens. Abgeordnet als jung-dynamischer „Wiss.Ass.“ der Urologie an der Medizinischen Hochschule Hannover zum Studientreffen der „Beta-HCG-positiven Seminom-Studie“ nach Bonn, erfuhr ich vom Studienleiter Prof. Weißbach eine Maßregelung, die ich nicht einmal als Quartaner erlebt habe, wenn sich der reife Oberstudienrat einmal mehr in den von mir präparierten nassen Schwamm setzte. 

Unser eher holpriger Start führte zunächst zu einer nachhaltigen Kränkung meiner radikal-liberalen, selbstbewusst-verletzlichen Seele – erst später erfuhr ich, dass das kein Einzelschicksal war, sondern mich in bester kollegialer Gesellschaft befand.

Fünfundzwanzig Jahre später, im Café Orth in der Friedrichstrasse „meiner“ Insel Sylt trafen wir uns auf ein, zwei Eiergrogs anlässlich Deiner Mitwirkung am Urologischen Sommerforum. Deine Anekdote aus der Euromed Clinic Fürth, als Du der Landrätin Dr. Gabriele Pauli anbotest, „sie auf der Sono-Liege einmal flachzulegen“, inspirierte mich, sie bei ihrem Wahlkampf, auf Sylt Bürgermeisterin zu werden, zu unterstützen. 

Seit diesen Episoden genieße ich viele, vorwiegend nächtliche Dialoge über irritierende, teils widrige Strömungen in der Urologie und der übrigen Welt, getragen von Deiner unermüdlichen, uneitlen Kompetenz in kritisch-präziser Analyse – nichts für freizeitorientierte Fastfood-Urologen und meist schwer verdaulich für empfindliche Eitelfanten. Das möge bitte weiterhin so bleiben: "Denen, die die Ruhe pflegen, kommt der Weißbach ungelegen." (Wilhelm Busch - fast)

Dein Weggefährte Rolf Harzmann, vormals Direktor der Urologischen Klinik in Augsburg, ist hier berufen, unsere Aussagen zur Person substantiell und ernsthafter zu erweitern – beginnend mit einem Zitat von Curt Goetz, das zweifelsfrei auch von Dir stammen könnte:

„Das Denken ist allen Menschen erlaubt, doch vielen bleibt es erspart.“

Es war und ist Lothar Weißbach immer gegeben, jeweils auch nur das kleinste Haar in der Suppe von Vorträgen und Publikationen zu identifizieren und dann auch knapp, knackig bzw. kompromisslos zu benennen. Das galt und gilt insbesondere dann, wenn er mentalen Verwahrlosungs-Tendenzen auf die Spur gekommen  ist: „Ein Professor ist ein Herr, der anderer Ansicht ist.“ (August Bier)

Falls aber eine mündliche oder schriftliche Präsentation formal, also auch von der Didaktik her, gelungen war, bewies er ein schon früher seltenes Talent: Er applaudierte als erster oder einziger und ließ den Referenten/Autor damit frei von Neid bzw. Missgunst wissen, dass er ihm imponiert habe.

Neid, Gier und Opportunismus - diese typischen Zeit-Geist-Verwerfungen- sind ihm lebenslang wesensfremd geblieben, niemals aber der ihm offensichtlich genetisch zugewiesene Idealismus. Kurzum: Typen wie er - Gegner aller selbstgewissen Dampfplauderer, der Eindrucksmediziner und selbstverliebten Erhabenheits-Rhetoriker bzw. Eitelkeits-Extremisten - sind möglicherweise weltweit, ganz sicher aber in der deutschen Urologie, vom Aussterben bedroht.

Bei all’ dem ist ihm stets bewußt gewesen: "Wer ohne Not die Wahrheit sagt, verdient keine Schonung" (Karl Kraus).

Zwangsläufige Konsequenz: er avancierte zum Lieblingsfeind der situations-elastisch Angepassten, an dem man möglichst subtil Rache zu nehmen habe, und hat das lebenslang - mehrheitlich anonym bzw. aus voller Deckung heraus- zu spüren bekommen. 

Als Preuße durch und durch wird er den Landesfarben Schwarz-Weiss dadurch gerecht, dass er Klartext vorlebt, jede nur denkbaren Graustufen – Radiologe hätte er somit niemals werden können - und Interpretations-Freiräume ebenso ablehnt wie unangebrachte Konjunktive und Komparative. Kein Wunder, dass er seit Studienzeiten treuer Anhänger von Preußen Münster ist, obwohl dieser Verein unbeirrt in der 3. Fußball-Bundeliga agiert – getreu seiner Devise: "Wenn es zwei Wege gibt, wähle den schwereren. Auf dem leichten herrscht zu viel Gedränge."

Im Rahmen seiner Laufbahn in der Urologischen Universitätsklinik Bonn von 1971 bis 1984, Habilitation 1975, Apl.-Professur 1978 und ab 1984 Leitung der Urologischen Klinik am Urban-Krankenhaus in Berlin inclusive periodischer Ärztlicher Direktion des Hauses, übernahm er den Vorsitz der DGU-Arbeitsgemeinschaft Experimentelle Urologie von 1978-1984 , die Präsidentschaft der Berliner Urologischen Gesellschaft 1993/94 und der Deutschen Krebsgesellschaft 1998. Schwerpunkte waren und sind die Initiierung von Studien zum Hoden- und Prostatakarzinom mit Fokus auf Aspekte der Versorgungsforschung wie bei der HAROW-Studie. Vieljährige Tätigkeit als Herausgeberbeirat von „Der Urologe“ und „Uro News“ sowie die Gründung der Stiftung Männergesundheit und der GmbH Gesundheitsforschung für Männer ergänzen das Bild.

Wenn es eine Institution wie Lothar Weißbach nicht gäbe, müsste man ihn erfinden. Er ist ein Glücksfall für die deutsche Urologie.   

Eine weitere, relevante Facette beleuchtet Peter Althaus, von 1988 bis 1991 Ordinarius für Urologie an der Charite:

Dass nach 30 Jahren deutscher Einheit der Zusammenschluss deutscher Urologen erfolgreich vollendet ist, haben wir auch Lothar Weißbach zu verdanken. Er hat die Urologen der neuen Bundesländer nicht mit Arroganz, Besserwisserei und erhobenem Zeigefinger, sondern durch persönliche Kontakte und wohlüberdachte Ratschläge für sich einnehmen können. Er war einer der ersten, der sich für die Erhaltung des Krebsregisters der DDR eingesetzt hat.

Die gegenseitige Wertschätzung hat u.a. dazu geführt, dass er das russische Unternehmen GAZPROM bewegen konnte, eine Langzeitstudie zur Behandlung des Prostatakarzinoms zu finanzieren. Die HAROW-Studie ist sein Verdienst. Als Gegenleistung erfolgten in der Russischen Föderation hochkarätige Fortbildungsveranstaltungen für russische Urologen in St. Petersburg, Moskau und Novosibirsk. Die positive Resonanz dieser Symposien hält bis heute an.

Sich Lothar Weißbach untätig vorzustellen, ist unmöglich: „Rollende Steine setzen kein Moos an.“(Publilius Syrus, 1.Jh.v.Chr.)

Während der Wende hatte ich einen Wunsch, der leider nicht in Erfüllung gegangen ist: für die Charité wollte ich ihn für die studentische Ausbildung gewinnen, weil er mir die Voraussetzung bot, nicht nur fachliches Wissen, sondern auch ethische Haltung zu vermitteln. Wir brauchen keinen stapplaudierenden, sondern kritischen akademischen Nachwuchs.

In der Not erkennt man seine Freunde: als mir von einem Tag zum anderen wegen angeblicher Stasivorwürfe an der Charité gekündigt wurde – die Urologische Klinik der Charité war wesentlicher Inhalt meines Lebens - hat sich Lothar Weißbach sofort bei mir gemeldet und seine Hilfe angeboten. Es waren nicht viele, die das getan haben. Ich werde ihm das nie vergessen!

Lieber Lothar, wir gehen davon aus, dass Deine Kritik an unserer Laudatio nicht lange wird auf sich warten lassen. Sie könnte lauten: „Eigentlich bin ich ganz anders, nur komm‘ ich so selten dazu“ (Ödön von Horvath)

Herzlichst

Wolfgang Bühmann unter Mitarbeit von Rolf Harzmann und Peter Althaus