Die Uro-Kolumne 11/2021

Autor: |Veröffentlicht am 20. Dezember 2021|Aktualisiert am 21. März 2024

FutURO – Eine urologische Utopie, die alle anspricht

20.11.2021. Meine Vorschreiber an dieser Stelle waren nicht divers. Es waren drei alte weiße Männer. Alle schwelgen in der Vergangenheit. Einer würde lieber mit dem Schreiben aufhören als alle Menschen im Genderwahn anzusprechen. Umso mehr rührt es mich, dass ein anderer schon seit Langem das generische Maskulinum vermeidet. Er schrieb: „Sprache ist viel mehr als pure Lautformung – Sprache ist Ausdruck der Haltung jedes Individuums und einer Gesellschaft“. In meiner Bubble wird gegendert und es klingt ganz normal. Ich finde es wunderbar, wie dynamisch unsere Sprache und unsere Gesellschaft sind und wie sich Vieles zum Besseren verändert. So auch, dass dieser Text von einer (relativ) jungen Urologin geschrieben wurde.

Veränderung

Auch die DGU verändert sich – neue Personalien, neue AGs. Beschwingt vom Kongressauftakt durfte ich der viel zitierten Gründungssitzung der AG Urologinnen beiwohnen. Ich war zunächst skeptisch und hätte mir gewünscht, dass Gleichberechtigung, Frauennetzwerke und die Interessen aller in jeder AG der DGU gelebt und nicht in eine separate Arbeitsgemeinschaft outgesourct werden.  Doch der Vorstand sprach – und so wurde es. Und - es war schön und unglaublich inspirierend, die vielen talentierten, eloquenten und erfolgreichen Urologinnen und Wissenschaftlerinnen zu hören, die sich in der AG einbringen wollen.

Die Steuerungsgruppe der AG Urologinnen, bestehend aus den renommiertesten Professorinnen Deutschlands, wirkte jedoch geprägt von ihrer Zeit – der Zeit der alten weißen Männer. Es schien, als hätten sie im Laufe der Jahre, während ihrer hart verdienten Erfolge und Errungenschaften die patriarchalen Wege urologischer Karrieren und reaktionäre Ansichten von Elternschaft und Care-Arbeit als unveränderliche Gesetzmäßigkeiten angenommen. Es wurde gesagt, dass die eigene Karriere mit Kindern nicht möglich gewesen wäre oder dass Kolleginnen nicht alles wollen sollten: Karriere und Familie.

Vorreiterinnen, aber keine Vorbilder

Sie sind noch einige der wenigen Urologinnen, die es geschafft haben, die gläserne Decke zu durchbrechen. Sie sind Vorreiterinnen, für mich aber keine Vorbilder. Ich bin mir sicher, dass ihr ureigenes Ansinnen die gegenseitige Unterstützung und Frauenförderung ist und dass sie Chancen und Gleichberechtigung schaffen wollen. Doch ich möchte korrigieren: die Karriere der Hamburger Ordinaria wurde schon oft erreicht: von Vätern. Doch Männern wird nicht vorgeworfen, alles zu wollen, wenn sie Kinder haben und Führungspositionen beanspruchen. Sie werden auch NIE gefragt, wie viele Kinder sie haben oder noch haben wollen, wie sie das alles unter einen Hut kriegen und wer sich um ihre Kinder kümmert. Es sind nicht die Kinder, die ein Karrierehemmnis sind. Es sind das Geschlecht, zu wenige Vorbilder, bevormundende Arbeitsstrukturen und unsere Gesellschaft, die weiterhin davon ausgeht, dass Care-Arbeit von Müttern umsonst geleistet wird.

Arbeitsmodelle: das Private ist politisch

Putzen ist politisch und eine Klinik zu leiten, eine Vorbildfunktion. Ich wünsche mir, dass wir über eine Zukunft der Urologie reden, in der alle vorkommen und wertgeschätzt werden. Arbeitsmodelle im privaten und im beruflichen sind eng verzahnt. Wodurch zeichnet sich attraktive Arbeit aus? Zu Hause dadurch, dass man sie fair aufteilt, würdigt und entsprechend entlohnt. In der Urologie dadurch, dass wir grundsätzlich die Standard-40+-Stundenwoche hinter uns lassen. Das würde eine Stellenbeschreibung für den Nachwuchs jeden Geschlechts attraktiver machen. Auch für Führungspositionen. Die tapferen (momentan noch fast ausschließlich) Männer, die die urologischen Kliniken des Landes führen, sollten als Vorbilder sich vor allem um ihre Patient:innen und die Weiterbildung zukünftiger Urolog:innen kümmern und nicht mit einer Konzernleitung Case Mix Indizes diskutieren oder sich vor dem Controlling über Liegezeiten rechtfertigen.

Andere Strukturen - Neue Wege

Lasst uns diverse Arbeitsumfelder schaffen, in denen wir alle uns wiederfinden können, um psychisch und physisch wohlauf eine gute Gesundheitsversorgung zu betreiben und Energie und Muße für unsere Liebsten vor und nach der Arbeit haben. Lasst uns nicht darüber reden, welche Alltagsmodelle mit einer urologischen Karriere vereinbar sind, sondern individuelle Lebensentwürfe respektieren. Lasst uns Dinge beim Namen nennen und alle ansprechen. Ein neuer Titel für unsere Fachzeitschrift würde mir zum Beispiel sehr gut gefallen.

Wir sind schon auf einem spannenden, neuen Weg: Am Ende des Kongresses stehen an der Spitze von DGU, des BvDU und der GeSRU drei Frauen. Das freut mich, auch wenn das Geschlecht ja eigentlich egal ist. Trotzdem lässt diese Führungsriege auf zukunftsweisende Veränderungen hoffen, die sich meiner urologischen Utopie annähern. Und vielleicht werden auch Vorbilder daraus.

Herzlich

Ihre

Hannah Arnold