Die Uro-Kolumne 01/2023

Autor: |Veröffentlicht am 20. Februar 2023|Aktualisiert am 21. März 2024

Schwangerschaft im Urologiebetrieb - „Entschuldigung Herr Kollege, Sie haben ein Resektoskop im Bauch stecken!“

20.01.2023. … auf den Gängen urologischer Kliniken hört man Sätze wie diesen oft. Der urologische Arbeitsalltag ist brandgefährlich. Brachiale Arbeitsbedingungen, deformierende Strahlung, zerstörerische Infektionskrankheiten und traumatische Operationsverletzungen raffen viele Kolleg:innen in der Blüte ihrer Schaffenszeit dahin.

Sollte eine Urologin unter diesen widrigen Arbeitsbedingungen schwanger werden, so stirbt tragischer Weise die Frucht meist noch im Körper der Operierenden oder kommt zu früh und krank zur Welt, oft im Nachtdienst während einer Reanimation auf der Intensivstation. Um diesem Massaker Einhalt zu gebieten (und um die Untertagearbeit zu regeln), wurde 1952 das Mutterschutzgesetz verabschiedet und 2018 wirkungsfrei reformiert. Seitdem platzen die Gefängnisse hierzulande aus allen Nähten. Sie sind voll von Chefärzt:innen und Klinikleiter:innen, die schwangere, dickbäuchige Urologinnen in die Operationssäle treiben, um in deren kurzen Schaffenszeit die maximale operative Expertise und Leistung herauszupressen.

Diese Dystopie entspricht glücklicherweise nicht der Realität. Ein solches Szenario würde allerdings erklären, warum Personalverantwortliche in den Kliniken pauschal schwangere Ärztinnen aus dem OP verbannen. Sicherlich handeln Sie nach bestem Wissen und Gewissen, jedoch leider meist vorauseilend gehorsam, übervorsichtig und unzureichend informiert zum aktuellen Forschungsstand und der Gesetzeslage. Damit halten sie einen Status Quo aufrecht, der Schwangere von Operationen, Interventionen und der Patient:innenversorgung fernhält und dadurch ihre Weiterbildung und Karriere unterbricht.

Ich erlaube mir hiermit aufzuklären: Es entscheiden allein die Schwangere mit dem Arbeitgeber, wie die Arbeit weitergeführt wird. Diese Übereinkunft wird in der individuellen Gefährdungsbeurteilung inklusive der Schutzmaßnahmen festgehalten. Ein pauschales Beschäftigungsverbot ist diskriminierend und damit illegal laut Grundgesetz Artikel 12 und dem allgemeine Gleichbehandlungsgesetz.

Zwar muss jede Schwangerschaft im Betrieb der beaufsichtigenden Behörde gemeldet werden. Die behördlichen Sachbearbeiter:innen sind jedoch oft nicht damit vertraut, was urologisches Arbeiten inner- und außerhalb des OPs bedeutet und welche wissenschaftlich belegten Schutzmaßnahmen für schwangere Mitarbeiterinnen im Gesundheitswesen es gibt. Laut § 29 Abs. 4 im Mutterschutzgesetz sind die beaufsichtigenden Behörden nicht weisungsbefugt und deren Beurteilung ist lediglich eine Handlungsempfehlung. Im § 10 Abs. 4 des Mutterschutzgesetz ist nachzulesen, dass der Arbeitsplatz so umgestaltet werden muss, dass frau weiterarbeiten kann, bevor ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen wird.

Wir alle wissen, dass es unter den gegebenen Voraussetzungen gängige Praxis ist, dass Schwangerschaften in den Kliniken lange offiziell geheim gehalten werden, wenn es den werdenden Müttern gut geht und sie weiter arbeiten, weiter operieren, weiter weitergebildet werden wollen. Das sollte so nicht sein. Jede sollte von Beginn der Schwangerschaft an den vollen Schutz für sich und ihr Kind erhalten ohne dafür pauschal diskriminiert zu werden.

Im Mutterschutzgesetzt steht, dass Arbeitgeber für die Verringerung oder Vermeidung der tätigkeitsbezogenen Gefahren verantwortlich ist, die das allgemeine Lebensrisiko übersteigen. Wann wird das allgemeine Lebensrisko überstiegen? Was machen Schwangere im allgemeinen Leben denn so - außer Geburtsvorbereitung und Nägel lackieren? Bestehen zu Hause ununterbrochene Ruhezeiten von mindesten 11 Stunden? Werden in der Freizeit Lasten über 5kg getragen? Besteht im Alltag keine Verletzungsgefahr durch stechende oder schneidende Instrumente?

Ich persönlich empfand den relativ strukturierten Arbeitsalltag in der Klinik mit einer adäquaten Personaldecke zum Teil entspannter als Care-Arbeit. Für mich war der OP mit all seinen, sowieso schon bestehenden Schutzmaßnahmen, einer der sichersten Orte für Schwangere und für mich auch einer der liebsten. Eine bislang nicht publizierte Untersuchung eines emanzipierten Unfallchirurgen aus meiner Weiterbildungsklinik zeigte auch, dass die Strahlenschutzmaßnahmen entgegen meiner einleitenden Dystopie hervorragend wirkten: er trug einige Wochen während der Arbeit im OP, im Schockraum und auf Station ein Dosimeter auf Unterbauchhöhe. Es wurde keine relevante Strahlenbelastung ausgelesen.

Es ist scheinheilig, wenn man Schwangeren Interventionen oder gar den Patient:innenkontakt verwehrt, sich dabei auf deren Sicherheit beruft, wohlwissend, dass es die absolute Sicherheit nicht gibt und gleichzeitig kein Klinik-Konzept für einen sicheren Arbeitsplatz für Schwangere hat. Es ist frustrierend, wenn Schwangere nicht selbst entscheiden dürfen, wie sie weiterarbeiten möchten. Es erinnert an die aktuelle Diskussion um die amerikanischen Abtreibungsgesetze: „Wenn ihr mir nicht zutraut, eine Entscheidung zu treffen (in unserem Fall die Entscheidung, wie man sicher schwanger weiterarbeiten möchte), wie könnt ihr mir dann zutrauen ein Kind großzuziehen?“

Bis heute gibt es keine einzige Klage gegen Arbeitgeber aufgrund negativen Auswirkungen einer fortgesetzten medizinischen Tätigkeit während der Schwangerschaft.
Doch es gibt Vorbilder: die  Chef:innen, die Schwangere nicht abschreiben. Dazu gehören Professor Stöckle im UKS, meine Weiterbilder im Helios Klinikum Berlin-Buch und meine Kollegen in den Praxen und viele viele mehr, die die Wünsche und das Sicherheitsbedürfnis ihrer schwangeren Kolleginnen ernst nehmen.

Im urologischen Team und interdisziplinär in der Klinik sollten sichere Arbeitsplätze für schwangere Kolleginnen etabliert werden. Wir sollten bevormundende Beschäftigungsverbote hinter uns lassen und wenn nötig den Behörden mit wissenschaftlich fundierten Konzepten und Schutzmaßnahmen die Stirn bieten. Es gilt, tolerant zu bleiben für die individuellen Bedürfnisse der Schwangeren. Nicht jede will und kann weiter wie zuvor arbeiten oder gar operieren. Nicht jeder geht es gleich gut und oft ändern sich die physischen und psychischen Gegebenheiten im Laufe der neun Monate. Eine offene Kommunikation und konkrete Konzepte helfen den Schwangeren und Arbeitgebern gleichermaßen.

Ein geringer Aufwand steht großem Nutzen gegenüber: Gesunde, gehörte und wertgeschätze Mitarbeiter:innen bleiben gern und kommen motiviert zurück. Rechtzeitig geplante Stellenausschreibungen und -besetzungen, ein fester Personalstamm und gut eingespielte Arbeitsabläufe und Teams sorgen für Zufriedenheit und gute Ergebnisse. Vereinbarkeit fängt mit der Organisation lange vor den Schwangerschaften an, geht mit der vorausschauenden Planung und Unterstützung der Elternzeit beider Elternteile und deren Wiedereinstieg weiter, berücksichtigt die oberärztlichen Golfturniere bei der Dienstplanung und hört nie auf.

Herzlich

Ihre

Hannah Arnold