Uro-Kolumne

Die Uro-Kolumne

Schwarz-weiß trifft es selten, in der Regel braucht es eine differenzierte Meinung, gerne auch eine Prise Humor und manchmal muss der Daumen in die Wunde – auch in der Urologie. Deshalb spitzen hier verschiedene Autoren aus der Urologie den Stift und nehmen in dieser Rubrik des Urologenportals regelmäßig aktuelle Themen ins Visier.

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Autor: |Veröffentlicht am 20. Juni 2019|Aktualisiert am 19. April 2024

Kurt Tucholsky und die Urologie

20.04.2024. Kongresse dienen seit Jahrzehnten dem hehren wissenschatlichen Dialog – zumindest theoretisch – durch im besten Falle argumentative Streitgespräche auf hohem Niveau in Augenhöhe und Präsenz. Sie trotzen damit vermeintlich der unaufhaltbaren Flut von digitalen Informationen ohne jede Qualitätskontrolle. Ist das wirklich so?

Der unerbittliche 8-Minuten-Zeittakt in künstlich beleuchteten, klimatisierten, seelenlosen Plattenbauten im futuristischen Space-Shuttle-Design zwischen den „Early-bird-Breakfast-Sessions“ um 6.45 Uhr über zehn Stunden mit kurzer Umkleidepause bis zu den diversen abendlichen „Arbeitsessen“ verhindert erfolgreich jedes Gefühl der Aura einer milde umwehenden Alma mater.

In diesem ambitionierten Korridor bemühen sich aufstrebende HabilitandInnen in lupenrein d’englischen verbalen Absonderungen um eine maximal konzentrierte Wissensvermittlung, untermalt von der weltläufig gemurmelten Rechtfertigung, es sei wegen der Arbeitsdichte nicht möglich gewesen, die bunt geglätteten, im 20-Sekundentakt rotierenden Kaplan-Meier-Kurven meist fremder AutorInnen, gestaltet von konkurrierenden Pharmafirmen, ins Deutsche zu übersetzen, die ohnehin nur mit allenfalls wochenlangen PFS/OS – Vorteilen der zahlenmäßig explodierenden -imabs oder -tinibs zu punkten versuchen. Haben Sie einmal versucht, sich als Zuschauer/-hörer diesen Daten-Tsunami zu merken?

Damit löse ich gerne die bisher mysteriöse Verbindung zu Tucholsky auf: für die Grundausbildung jedes Vortragenden sollte die komplette Lektüre seiner „Ratschläge für schlechte Redner“(Kurt Tucholsky, Sprache ist eine Waffe – Sprachglossen, Reinbek bei Hamburg (rororo) 1989, S. 134 ff (Original: 1930))  obligat sein, die jede Menge guter Instrumente beinhalten. Hier nur ein paar Kostproben:

„Fang nie mit dem Anfang an, sondern immer drei Meilen vor dem Anfang! Etwa so: "Meine Damen und meine Herren! Bevor ich zum Thema des heutigen Abends komme, lassen Sie mich Ihnen kurz …" Hier hast du schon ziemlich alles, was einen schönen Anfang ausmacht: eine steife Anrede; der Anfang vor dem Anfang; die Ankündigung, dass und was du zu sprechen beabsichtigst, und das Wörtchen kurz. So gewinnst du im Nu die Herzen und Ohren der Zuhörer.

Sprich nicht frei – das macht einen so unruhigen Eindruck. Am besten ist es: du liest deine Rede ab. Das ist sicher, zuverlässig, auch freut es jedermann, wenn der lesende Redner nach jedem viertel Satz misstrauisch hochblickt, ob auch noch alle da sind.

Trink den Leuten ab und zu ein Glas Wasser vor – man sieht das gern.

Wenn du einen Witz machst, lach vorher, damit man auch weiss, wo die Pointe ist.“ …

Leider gewährleisten weder eine erfolgreiche Habilitation noch virtuose operative Kompetenz eine analoge rhetorisch-didaktische Expertise, die für einen nachhaltigen mentalen Eindruck des gesprochenen Wortes sorgen könnte.

Auf der Basis fachlicher Qualifikation braucht es Phantasie, Eloquenz, Empathie, rhetorische Eleganz und die Begabung, auf unserer wunderbar vielfältigen Sprache der Dichter und Denker virtuos zu spielen wie auf einem gut gestimmten Flügel unter Nutzung aller weißen und schwarzen Tasten. Nur dann bleibt ein Vortrag „hängen“ und wird zu bleibendem Gedankengut. Es gibt nur wenige Leuchttürme, die dieses Spektrum in sich vereinigen, die dazu übrigens keine unübersichtlichen Schaubilder benötigen, da ihre Aussagen für sich stehen und die beweisenden Daten in Quellenangaben verbannen für die ewigen Zweifler.

Übrigens: Neurowissenschaftlich längst bewiesen ist, daß jede Rede über 20 Minuten für das menschliche Hirn nicht mehr erfaßbar ist.

Da hat es doch tatsächlich kürzlich in der Berliner Urologischen Gesellschaft einen frei gesprochenen Vortrag ohne Charts und Power-Point-Spielereien gegeben über „Die wichtigsten Ratschläge eines äußerst kritischen Urologen für junge Kollegen”. Bereits die Lektüre des Manuskriptes war genußvoll, Mimik und Gestik vom Vortragenden Lothar Weißbach taten ein Übriges, sich diese Ratschläge für die eigene Laufbahn einzuprägen. Ohne Ablenkung durch bunte Bilder vertieft sich die Wirkung nachhaltig – wohl niemand hat die Reizüberflutung durch Abwesenheit von Videos oder anderen optischen Gimmicks vermißt. So geht es, ging es und wird es immer gehen: “Ohne Weisheit keine Kritik - Ohne Kritik kein Impuls - Ohne Impuls keine Veränderung. »

Gewohnt pointiert zusammengefaßt hat das unser Kollege Rolf Harzmann: « Schlechte Vorträge sind Körperverletzung »

Herzlich

Ihr

Wolfgang Bühmann 
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