Autor: Redaktion|Veröffentlicht am 15. Dezember 2006|Aktualisiert am 21. März 2024

Offizielle Stellungnahme der DGU zu Finasterid

14.07.2003 - In den kommenden Tagen werden in einer der weltweit renommiertesten medizinischen Fachzeitschriften, dem "New England Journal of Medicine" die Ergebnisse des sog. Prostate Cancer Prevention Trial (PCPT) publiziert. Da diese Untersuchung in vielerlei Hinsicht bedeutsam ist, hält es die Deutsche Gesellschaft für Urologie für ihre Pflicht, eine offizielle Stellungnahme abzugeben.

Was ist das Prostate Cancer Prevention Trial (PCPT)?


Der Prostatakrebs ist in den westlichen Industrienationen der häufigste bösartige Tumor des Mannes über 50. In der Bundesrepublik Deutschland erkranken jährlich mehr als 30.000 Männer an dieser Tumorerkrankung, etwa 10.000 versterben an den Folgen eines Prostatakarzinoms.

Das Prostate Cancer Prevention Trial (PCPT) ist eine prospektive Studie, die vom Amerikanischen National Institute of Health initiiert und von der South-West Oncology Group (SWOG), einer international anerkannten amerikanischen Organisation, die Studien zur Diagnostik und Therapie von Krebserkrankungen ausführt, durchführt. Ziel des PCPT war es herauszufinden, ob sich durch Einnahme der Substanz Finasterid das Auftreten eines Prostatakarzinoms vermeiden lässt.

Dazu wurden fast 19.000 freiwillige Männer über 55 Jahre ohne Hinweis auf ein Prostatakarzinom in zwei Gruppen eingeteilt. Nach dem Zufallsprinzip erhielt die eine Hälfte ein Placebo, während die andere Hälfte der Männer 5 mg Finasterid über einen Zeitraum von 7 Jahren erhielten. Die Studie war doppelblind angelegt, d.h. weder Arzt noch Studienteilnehmer waren informiert, ob Finasterid oder Placebo eingenommen wurden.

Die Männer wurden in regelmäßigen Abständen durch Tastuntersuchung und Bestimmung des Prostataspezifischen Antigens (PSA) auf das Vorliegen eines Prostatakarzinoms untersucht. Bei Anstieg des PSA-Wertes über 4 ng/ml, palpatorischem Verdacht auf einen Prostatakrebs oder am Ende der Studie wurden Gewebeproben aus der Prostata entnommen.

Was ist Finasterid?


Finasterid ist eine Substanz, die das in der Prostata vorkommende Enzym 5-alpha-Reduktase hemmt. Dadurch wird die Umwandlung von Testosteron in das intrazellulär wirksame Dihydrotestosteron verhindert. Dihydrotestosteron ist das wirksamste Androgen in der Prostata. Finasterid ist bislang zugelassen zur Behandlung der gutartigen Prostatavergrößerung. Es führt zu einer deutlichen Verkleinerung des Drüsenvolumens um etwa ein Viertel bis ein Drittel des Ausgangsvolumens. Darüberhinaus kommt es zu einem Absinken des PSA-Wertes auf etwa die Hälfte des Ausgangswertes. Im PCPT wurden daher alle PSA-Werte zentral ermittelt und den behandelnden Ärzten die Resultate - für die mit Finasterid behandelten Männer in Form von korrigierten Werten - übermittelt. Der Korrekturfaktor wurde im Verlauf der Studie von 2,0 auf 2,3 angehoben.

In einer geringen Dosierung (1 mg) wird Finasterid zur Behandlung des vorzeitigen Haarausfalls beim Mann eingesetzt.

Welche Ergebnisse wurden im PCPT beobachtet?


Bis zum vorzeitigen Abbruch der Studie waren Ergebnisse von knapp 9.000 der insgesamt etwa 19.000 Männer verfügbar. Bis dahin fanden sich bei den mit Finasterid behandelten Männern 803 Fälle eines Prostatakarzinoms (18,4%), während in der Kontrollgruppe bei 1147 Männern (24,4%) eine Tumorerkrankung nachgewiesen wurde. Dies entspricht einer hoch signifikanten Senkung des Tumorrisikos um fast 25%.

Allerdings ergab sich für die aggressiven Tumoren ein anderes Bild. Tumoren der Gleason Grade von 7-10 waren in der Finasterid-Gruppe relativ (lediglich bezogen auf die Erkrankungen 37% vs. 22,2%) und absolut (bezogen auf die Teilnehmer 6,4% vs. 5,1% bzw. 280 vs. 237 Fälle) häufiger vertreten als in der Kontrollgruppe.

Bezüglich der Nebenwirkungen waren Veränderungen der Sexualfunktion (Erektion, Ejakulation) häufiger in der Finasterid-Gruppe, während Miktionsstörungen (Harndrang, Pollakisurie, Harnverhalt) und Harnwegsinfektionen in der Kontrollgruppe häufiger auftraten.

Warum wurde die Studie vorzeitig beendet?

Im Rahmen der vorgeschriebenen regelmäßigen Interimanalysen kam das unabhängige Data Safety and Monitoring Board Anfang des Jahres, etwa 15 Monate vor dem geplanten Ende der Studie zu dem Ergebnis, dass das primäre Studienziel (eine 25%-ige Reduktion der Fälle) erreicht war und dass ein Fortsetzen der Studie nicht mehr zu nennenswerten Änderungen der Ergebnisse führen wurde. Daraufhin wurde empfohlen, die Studie abzubrechen.

Wie lassen sich die Ergebnisse des PCPT bewerten?

Das Prostate Cancer Prevention Trial (PCPT) stellt einen Meilenstein auf dem Gebiet der Tumorprävention generell und insbesondere der Prävention des Prostatakarzinoms dar. Die Studie gibt zum erstenmal einen Hinweis darauf, dass sich das Auftreten bestimmter Formen eines Prostatakarzinoms medikamentös zumindest hinausschieben, möglicherweise aber sogar verhindern lässt. Auch künftig werden sich aus der weiteren Aufarbeitung der gewonnenen Daten eine Vielzahl von neuen Informationen über die Entstehung von Prostatakarzinomen ergeben.

Auffallend im PCPT ist generell eine unerwartet hohe Anzahl von bereits während der Studie (und nicht erst mit der geplanten Biopsie am Studienende) nachgewiesenen Tumoren insbesondere der Gruppe von Tumoren mit niedrigem Riskio, die schließlich auch zum vorzeitigen Studienende führte. Der Hintergrund für diese Beobachtung bedarf weiterer Analysen.

Weiterhin auffallend ist insbesondere die Beobachtung, dass in der Finasterid-Gruppe die aggressiven Tumoren überrepräsentiert waren. Die Bewertung dieser Beobachtung ist auf Grund der derzeitigen Datenlage noch nicht möglich. Mehrere Erklärungen sind jedoch denkbar:

• Hypothese 1: Finasterid bewirkt einen Wachstumsvorteil der aggressiven Tumoren. Dem steht gegenüber, dass sich in anderen prospektiven Studien mit Finasterid bei der gutartigen Prostatavergrößerung (u.a. PLESS, MTOPS) kein Hinweis auf das vermehrte Auftreten von (aggressiven) Prostatakarzinomen ergab. Auch die Tatsache, dass schon im ersten Jahr – also bereits sehr kurz nach Behandlungsbeginn – das Verhältnis zwischen den beiden Gruppen zuungunsten der Finasterid-Gruppe verschoben war, spricht eher gegen diese Hypothese. Ein wachstumsförderndes Potential von Finasterid vorausgesetzt, hätte dieser Effekt mit den Jahren zunehmen müssen.

• Hypothese 2: Durch Finasterid wird das Volumen der Prostata um etwa 25% vermindert. Da minimal 6 Gewebeproben entnommen wurden, ist davon auszugehen, dass die relative Dichte der Gewebeproben (Gewebeproben/ml Prostatagewebe) in der Finasteridgruppe höher lag, als in der Kontrollgruppe. Davon ausgehend, dass die aggressiveren Tumoren generell ein größeres Volumen aufweisen als die weniger aggressiven, könnte man postulieren, dass die Ausschöpfung der Detektion in der Finasterid-Gruppe besser war, als in der Kontrollgruppe. Im Umkehrschluß würde dies bedeuten, dass der präventive Effekt von Finasterid dann noch größer wäre, als bislang angenommen.

• Hypothese 3: Unter Finasterid verändert sich das Erscheinungsbild von Tumorzellen dahingehend, dass sie histologisch maligner imponieren, als sie tatsächlich sind.

Diesen Hypothesen muss nun im Rahmen der weiteren Aufarbeitung des Materials nachgegangen werden.

Welche Konsequenzen ergeben sich aus den Ergebnissen des PCPT?


Der im PCPT beobachteten deutlichen Risikosenkung beim Prostatakarzinom unter Finasterid-Einnahme steht die derzeit noch nicht abschließend bewertbare Beobachtung gegenüber, dass in der Finasterid-Gruppe ein höherer Anteil aggressiver Tumoren nachgewiesen wurde.

Die Deutsche Gesellschaft für Urologie empfiehlt daher bei der präventiven Gabe von Finasterid sehr sorgfältig die Risiken und Chancen gegeneinander abzuwägen und im Zweifelsfall bis zu einer weiteren Klärung der Datenlage von einem rein präventiven Einsatz von Finasterid abzusehen.

Für die Behandlung der gutartigen Prostatavergrößerung gilt dieser Vorbehalt ausdrücklich nicht. Finasterid wird seit mehr als 10 Jahren weltweit in der Behandlung der gutartigen Prostatavergrößerung eingesetzt und hat in zahlreichen prospektiven Studien seinen klinischen Nutzen und seine Langzeitsicherheit bewiesen. Hinweise auf ein vermehrtes Auftreten aggressiver Prostatatumoren bei den behandelten Patienten haben sich dort nicht ergeben.

Die Deutsche Gesellschaft für Urologie sieht momentan keine Datenlage, die eine Umstellung von derzeit mit Finasterid behandelten Patienten notwendig machen würde. Patienten sollten jedoch durch ihren Urologen auf die aktuellen Ergebnisse hingewiesen werden.

Arbeitskreis Onkologie (AKO) der Deutschen Gesellschaft für Urologie
Arbeitskreis Prävention, Umwelt und Komplementäre und alternative Medizin (AK PUK) der Deutschen Gesellschaft für Urologie